Newsletter Bau- und Vergaberecht 04/2022
14.02.2022 | Bau- und Vergaberecht
Bei VOB-Vertrag gilt die 80 % Regelung
Der Auftragnehmer kann bei der Berechnung geschuldeter Abschlagszahlungen 80 % geltend machen, § 650 c (3) BGB. Dies gilt auch im VOB/B-Vertrag, wenn die VOB als Ganzes vereinbart ist (Kammergericht, Urteil vom 02.11.2021 – 27 U 120/21).
Bauherr muss sich Architektenwissen zurechnen lassen
An der Baumaßnahme tritt ein Feuchtigkeitsschaden ein. Der bauüberwachende Architekt wird hinzugezogen. Es hätte ihm auffallen müssen, dass die Leistung entgegen der eigenen Planung unvollständig ist und dass Mängel vorliegen. Die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Architekten muss sich der Bauherr im Hinblick auf die Verjährung von Ansprüchen zurechnen lassen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.02.2020 – 21 U 51/19 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen; BGH, Beschluss vom 13.01.2021 – VII ZR 35/20).
Arbeitsstättenverordnung ist anerkannte Regel der Technik
Der Architekt ist beauftragt, eine Arbeitsstätte zu planen. Die Planungsleistung ist mangelhaft, wenn die Planung gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt. Werden die Regelungen der Arbeitsstättenverordnung in Bezug auf Raumhöhen nicht eingehalten, liegt darin ein Planungsmangel. Wenn der Architekt dazu über keine Kenntnisse verfügt, muss er dies dem Bauherrn offenbaren, damit ein Sonderfachmann beauftragt werden kann (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.10.2020 – 21 U 57/17 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 178/20).
Vertrauen der Vergabestelle ist schutzwürdig
Der Bieter hat als Fachunternehmen mit der Abgabe des Angebotes ein Leistungsversprechen dahingehend abgegeben, dass der Auftrag nach den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses ausgeführt wird.
Auch wenn ein Standardprodukt des Bieters einzelne Vorgaben des Leistungsverzeichnisses nicht erfüllt, ist eine individuelle Anpassung an die Vorgaben des konkreten Auftrags durch ein Fachunternehmen zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung möglich (VK Bund, Beschluss vom 22.12.2021 – VK2 – 125/21).
Detaillierte Dokumentation der Konzeptbewertung
Die Vergabestelle muss das Vergabeverfahren fortlaufend dokumentieren. Die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen und die Begründung der Entscheidungen müssen festgehalten werden. Die Vergabestelle kann eine Bewertungsmethode festlegen. Wenn sie diese bekannt gemacht und angewendet hat, ist dies nicht zu beanstanden, wenn das Angebot, das diese Vorgaben am besten erfüllt, die maximale Punktzahl bei der Bewertung erhält. Auch eine relative Bewertungsmethode ist zulässig. Die Vergabestelle muss aber nach Eröffnung der Angebote ihre maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten Details des Angebots ausschlaggebend für die Punktevergabe waren. Die Entscheidung der Vergabestelle muss nachvollziehbar sein (VK Lüneburg, Beschluss vom 18.06.2021 – VgK – 17/2021).
Baugrundrisiko bei unklaren Bodenverhältnissen trägt der Auftragnehmer
Die Parteien des Bauvertrages gehen von Bodeneigenschaften aus, die sich aus den durchgeführten Bohruntersuchungen nicht sicher ableiten lassen. Die Parteien haben zulässigerweise einen fiktiven Baugrund vereinbart. In diesem Fall übernimmt der Auftragnehmer das Baugrundrisiko, wenn er bei offenkundig und eindeutig unklaren Bodenverhältnissen über die Verhältnisse im Boden ein Angebot abgibt. Entsprechen die Bodenverhältnisse nicht dem, was die Parteien in dem Vertrag beschrieben haben, steht dem Auftragnehmer kein Anspruch auf Mehrvergütung zu (Landgericht Hamburg, Urteil vom 30.11.2021 – 304 O 341/19).
Keine Kündigung bei Bedenkenanmeldung
Der Auftragnehmer kann gegen die geplante Art der Ausführung Bedenken anmelden und die Gewährleistung ablehnen. In diesem Fall ist der Bauherr nicht berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen. Kündigt der Bauherr, hat der Auftragnehmer Anspruch auf volle Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen (OLG Schleswig, Beschluss vom 10.11.2021 – 12 U 159/20).
Mängelbürgschaft liegt vor: Leistungsverweigerungsrecht wegen Mängeln
Nach der Abnahme der Leistungen wird der Werklohnanspruch des Auftragnehmers fällig. Ist die Leistung mangelhaft, kann der Bauherr die Zahlung des Werklohns verweigern. Dabei kann der Bauherr einen angemessenen Teil der Vergütung einbehalten. Dies ist regelmäßig das Doppelte der für die Mangelbeseitigung erforderlichen Kosten. Dabei muss sich der Bauherr nicht auf die gestellte Mangelsicherheit verweisen lassen. Das Leistungsverweigerungsrecht und die zur Verfügung stehende Mangelsicherheit sind voneinander unabhängig. Allerdings darf es durch die Kumulation von Mangelsicherheit und Leistungsverweigerungsrecht nicht zu einer erkennbaren unangemessenen Übersicherung des Bauherrn kommen. Der Einbehalt ist unter Berücksichtigung der bestehenden Sicherheiten und der Mangelsituation zu bestimmen (OLG Jena, Urteil vom 29.08.2019 – 1 U 324/17 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 210/19).
Zuschlag trotz fehlerhafter Bieterauswahl im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wirksam
Die Vergabestelle durfte eine Leistung in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und europaweite Bekanntmachung vergeben, da ein Fall äußerster Dringlichkeit vorlag. Die Vergabestelle hat für einen ausreichenden Wettbewerb gesorgt, da sie drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert hat. Die fehlerhafte Auswahl des Bieters führt dann nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.01.2022 – Verg 7/21).
Mindestwettbewerb erforderlich
Auch bei Notvergaben hat der öffentliche Auftraggeber möglichst viel Wettbewerb zu ermöglichen. Er muss mehrere Angebote einholen. Erfolgt dies nicht, liegt ein Ermessensfehler vor. Der ohne Wettbewerb erteilte Auftrag ist unwirksam (OLG Rostock, Beschluss vom 11.11.2021 – 17 Verg 4/21).
Bessere Angebote sind zu bezuschlagen
Die Ausschreibung sieht ein Lastenheft vor. Der Bieter hat das Lastenheft vollständig erfüllt. Die anderen Bieter haben Angebote abgegeben, die das Angebotsniveau anheben und zwar über den Inhalt des Lastenhefts hinaus. In diesem Falle sind solche Angebote zu bevorzugen und zu bezuschlagen (VK Lüneburg, Beschluss vom 02.12.2021 – VgK – 42/2021).
Gegenüber angestellten Bauleitern ist die Bedenkenanmeldung ausreichend
Der Auftragnehmer hatte Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung. Wenn der Bauleiter sich den Bedenken des Auftragnehmers verschließt, muss der Auftragnehmer die Bedenkenanmeldung direkt an den Bauherrn richten. Dies gilt dann, wenn der Bauleiter außerhalb der Sphäre des Bauherrn steht und mit ihm durch einen Werkvertrag verbunden ist. Wenn der Bauleiter jedoch Mitarbeiter und Angestellter des Bauherrn ist, genügt dies. Der Bedenkenhinweis gelangt unmittelbar in die Sphäre des Bauherrn. Weist der Bauherr die Bedenkenanmeldung zurück, ist dies dem Bauherrn zuzurechnen (OLG Köln, Beschluss vom 05.10.2021 – 16 U 55/21).
Unverhältnismäßige Mängelbeseitigung
Wenn die Mangelbeseitigung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, kann der Auftragnehmer die Mangelbeseitigung verweigern. Dies ist der Fall, wenn die Mangelbeseitigung in Richtung auf die Beseitigung des durch die Mangelbeseitigung erzielten Erfolgs bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwandes steht. Dabei ist auch ein Verschulden des Auftragnehmers zu berücksichtigen (OLG Celle, Urteil vom 05.03.2020 – 6 U 48/19 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen BGH, Beschluss vom 04.08.2021 – VII ZR 42/20).
Regelverjährung von Begleitschäden vor Abnahme
Entstehen dem Besteller bereits vor Abnahme Schäden, die durch Erfüllung oder Nacherfüllung nicht mehr behoben werden können, greift die Regelverjährung. Dies gilt etwa für Verzögerungsschäden. § 634 a BGB findet auf einen Anspruch nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht auf Schadensersatz neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) keine Anwendung. Liegt der den Schaden auslösende Mangel bei Abnahme nicht mehr vor, weil er noch während der Erfüllungsphase nachgebessert worden ist, bleibt es bei der regelmäßigen Verjährung (OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.08.2021 – 2 U 2524/20).
Kein Anspruch auf entgangenen Gewinn bei Aufhebungsvertrag
Die Vergabestelle hebt ein erstes Vergabeverfahren auf und führt mit einer fehlerhaften Neuvergabe wirtschaftlich und wertungsmäßig ein entsprechendes Ergebnis herbei, indem die Vergabestelle mit demjenigen, der den Zuschlag zu Unrecht erhalten hat, einen Aufhebungsvertrag schließt und sodann ein neues Vergabeverfahren durchführt. In diesem Falle hat der zunächst beauftragte Bieter keinen Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns (BGH, Urteil vom 23.11.2021 – XIII ZR 20/19).
Rügepflicht auch im Unterschwellenbereich
Der Bieter muss auch bei einer Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte erkannte oder erkennbare Vergaberechtsverstöße umgehend rügen. Ansonsten verliert er den Primärrechtschutz (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.10.2021 – 1 U 93/20).