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Newsletter Bank- und Prozessrecht Q3/2023

01.09.2023 | Bank- und Prozessrecht

Verwirkung als „Ausschlussgrund“: Bleibt nach der anstehenden EuGH-Entscheidung ein Widerruf vollständig erfüllter Darlehensverträge möglich?
OLG Hamm, Beschluss vom 04.07.2023 zu Az. I-31 U 101/23 und OLG Düsseldorf, Verfügung vom 18.08.2023 zu Az. I-16 U 154/22
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Nachdem der EuGH mit seinem Urteil vom 09.09.2021 in den verbundenen Rechtssachen C‑33/20, C‑155/20 und C‑187/20 jedenfalls nach überwiegender Lesart der deutschen Gerichte das Tor zum Einwand der Verwirkung bei Kfz-Darlehenswiderrufen zugeschlagen hatte, keimt nun Hoffnung. In seinen Schlussanträgen vom 16.02.2023 in den verbundenen Rechtssachen C‑38/21, C‑47/21 und C‑232/21 schlägt Generalanwalt Collins dem EuGH vor, dass ein Widerrufsrecht nicht mehr ausgeübt werden könne, sobald der Darlehensvertrag von beiden Parteien vollständig erfüllt worden ist (Rn. 149 ff.). Danach sei ein Widerruf jedenfalls nach vollständiger Abwicklung eines Darlehensvertrags nicht mehr wirksam möglich. Ebendiese Ausführungen der Schlussanträge werden zwischenzeitlich durch Obergerichte aufgegriffen.

Das OLG Hamm (Hinweisbeschluss vom 04.07.2023 zu Az. I-31 U 101/23) führt aus, dass dem Einwand der Verwirkung die Verbraucherkreditrichtlinie (RL 2008/48/EG) nicht entgegenstehe. Durch die Schlussanträge des Generalanwalts sei die zeitliche Reichweite der Richtlinie unmissverständlich geklärt. Einer Aussetzung des Verfahrens, mit anderen Worten eines Abwartens der Entscheidung des EuGH auf die Schlussanträge, bedürfe es, so der 31. Zivilsenat explizit, nicht.

Eine ebensolche zurückhaltendere, aber unter gleichen Vorzeichen stehende, Lösung qua Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH präferiert hingegen das OLG Düsseldorf (Verfügung vom 18.08.2023 zu Az. I-16 U 154/22). Zwar sei der Vorschlag des Generalanwalts dahingehend eindeutig, dass ein Darlehenswiderruf nicht mehr ausgeübt werden könne, sobald der Darlehensvertrag vollständig erfüllt worden ist. Gleichwohl wagt das OLG Düsseldorf, indem es auf den Vorschlagscharakter der Schlussanträge rekurriert, nicht den Schritt zu gehen, welchen das OLG Hamm angekündigt hat, und die Klage des Darlehensnehmers endgültig abzuweisen.

Es bleiben hiernach zwei Dinge abzuwarten: erstens ob sich weitere OLGs nunmehr trauen, in Fällen der Verwirkung von der zwischenzeitlich paradigmatischen und gegenwärtig revisionsfesten Lösung der Klageabweisung als „derzeit unbegründet“ abzukehren. Und zweitens, dieser Punkt ist entscheidend, die Entscheidung des EuGH. Diese steht zwar unter kreditgeberfreundlicheren Vorzeichen, als noch die Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021, jedoch lässt sich der EuGH nicht „in die Karten“ blicken. Damit bleibt die Hoffnung, dass (auch) der EuGH einem ewigen Widerrufsrecht endlich einen Riegel vorschiebt. Wir berichten als Prozessvertreter in den EuGH Verfahren sobald es hier Neuigkeiten gibt.

Matthias Heisack, Frankfurt am Main

 

Sicherheitentausch – Bank muss keine Gewerbeimmobilie als Ersatzsicherheit beim Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag akzeptieren
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22.05.2023 zu Az. 19 U 206/22
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Ausgangspunkt dieses Rechtsstreits war die Rückforderung einer im Jahr 2020 entrichteten Vorfälligkeitsentschädigung. Der Kläger hatte zuvor den Widerruf seiner auf den Abschluss des im Jahr 2015 geschlossenen Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung erklärt. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht hatten den Widerruf zurückgewiesen. Alternativ hatte der Kläger seinen Anspruch auf Rückerstattung der Vorfälligkeitsentschädigung auf einen Schadensersatzanspruch wegen eines zu Unrecht verweigerten Sicherheitentauschs gestützt.

Der Kläger hatte im Mai 2020 einen Sicherheitentausch bei der beklagten Bank beantragt. Als Ersatzobjekt hatte der Kläger eine Gewerbeimmobilie, die sich auf einem nicht wohnwirtschaftlich genutzten Grundstück befand, angeboten. Die beklagte Bank hatte den Objektwechsel ohne nähere Begründung abgelehnt. Der Kläger hatte das Beleihungsobjekt daraufhin unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung veräußert.

Der 19. Senat des OLG Frankfurt a.M. hat nun festgestellt, dass das vom Kläger angebotene Objekt nicht gleichwertig mit der ursprünglich gestellten Sicherheit war, weshalb die Beklagte nicht verpflichtet war, den beantragten Objekttausch vorzunehmen. Dementsprechend könne der Kläger auch keine Rechte für sich aus der Ablehnung des Objektwechsels durch die Bank herleiten. Die Hereinnahme einer Gewerbeimmobilie als Sicherheit habe für die Bank erhebliche Auswirkungen auf die Risikoanalyse und das Sicherheitsmanagement. Insbesondere die laufenden Überwachungspflichten stellten für die Bank einen höheren Verwaltungsaufwand als bei einer selbst bewohnten Wohnimmobilie dar. Dabei spiele die Werthaltigkeit der Gewerbeimmobilie keine Rolle. Es gebe auch keinen allgemeinen Grundsatz, dass der Sicherungsgeber einen Austausch einer Sicherheit gegen eine ihm genehmere verlangen könne.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. ist begrüßenswert. Zuletzt hatte sich der BGH im Jahr 2004, mithin vor fast 20 Jahren, mit der Frage des Sicherheitentauschs beschäftigt. Dort hatte der BGH entschieden, dass der Darlehensnehmer bei einer Veräußerung eines Grundstücks anstelle der Entrichtung einer Vorfälligkeitsentschädigung auch einen bloßen Austausch der Sicherheiten bei sonst unverändert fortbestehenden Darlehensvertrag beanspruchen könne, wenn dies der Bank mangels eines schutzwürdigen Eigeninteresses zuzumuten sei (vgl. BGH, Urteil vom 03.02.2004 zu Az.: XI ZR 398/02). Dies sei laut BGH dann der Fall, „wenn eine vom Darlehensnehmer als Ersatz angebotene Grundschuld das Risiko der realkreditgebenden Bank genauso gut abdeckt wie die der Bank vereinbarungsgemäß eingeräumte Grundschuld, der Darlehensnehmer bereit und in der Lage ist, alle mit dem Sicherheitentausch verbundenen Kosten zu tragen und das Kreditinstitut auch nicht befürchten muss, etwa bei der Verwaltung oder der Verwertung der Ersatzsicherheit irgendwelche Nachteile zu erleiden.“ Der BGH hatte nicht über eine Gewerbeimmobilie als Ersatzsicherheit zu entscheiden. Die zuletzt genannten Nachteile bei der Verwaltung einer Gewerbeimmobilie sieht nunmehr das OLG Frankfurt a. M. allein aufgrund der regulatorischen Anforderungen an das Risikomanagement.

Larissa Normann, Frankfurt am Main

 

Keine Berücksichtigung einer behaupteten Abschalteinrichtung bei der Wertersatzberechnung
OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2023 zu Az. 7 U 111/21
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In dem Fall des OLG Zweibrücken wurde nach dem wirksamen Widerruf einer Fahrzeugfinanzierung das streitgegenständliche Darlehen nach den Grundsätzen des BGH (BKR 2023, 114, 188 ff.) rückabgewickelt. Der Kläger war jedoch der Auffassung, das Fahrzeug sei zum Zeitpunkt des Erwerbs mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen gewesen. Wäre dies zum Erwerbszeitpunkt bekannt gewesen, hätte das Fahrzeug am Markt anstelle von EUR 24.000,00 nur einen Preis von EUR 15.000,00 erzielen können. Die Differenz macht der Kläger nun im Rahmen der Wertersatzberechnung gegenüber der finanzierenden Bank geltend.

Dieser Auffassung erteilte der 7. Senat eine deutliche Abfuhr. Es spiele schon keine Rolle, ob die behaupteten Abschalteinrichtungen tatsächlich verbaut wurden. Einzig maßgeblich für die Wertersatzberechnung sei der objektive Marktwert zum damaligen Zeitpunkt. Dieser bestimme sich nach dem tatsächlich vereinbarten Kaufpreis bzw., falls der Betrag niedriger sein sollte, nach dem damals üblichen Händlerbruttoverkaufspreis. Es spiele keine Rolle, wie der Preis auf der Grundlage später erworbener Kenntnisse hypothetisch bestimmt worden wäre.

Mit dieser an die Ausführungen des BGH angelehnten Entscheidung wird die Attraktivität des Widerrufs weiter eingeschränkt. Nachdem der BGH durch seine Wertersatzberechnung die Erstattungsansprüche gekürzt hat, scheitert auch der weitere Versuch der Verbraucherkanzleien, den Wertersatzanspruch der Banken durch konstruierte Berechnungen zu mindern.

Das Urteil ist rechtskräftig.

André Berger, Frankfurt am Main

Dieselskandal: Keine Erstattung des Differenzschadens gegen den vom Fahrzeughersteller verschiedenen Motorenhersteller
BGH, Urteil vom 10.07.2023 zu Az. VIa ZR 1119/22
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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 10.07.2023 (VIa ZR 1119/22) entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch gem.    § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, gerichtet auf den Ersatz des Differenzschadens, nur gegen den Fahrzeughersteller, nicht hingegen gegen den Motorenhersteller, zulässig ist.

Der Senat nahm Bezug auf seine Grundsatzentscheidung vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21) und stellte klar, der Anspruch gem.    § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV knüpfe an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, obliege allein dem Fahrzeughersteller. Der Motorenhersteller könne deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer Täter hinter dem Fahrzeughersteller sein.

Die Rechtsprechung des BGH ist konsequent und begrüßenswert. Dem in Anspruch genommenen – vom Fahrzeughersteller verschiedenen – Motorenhersteller fehlt damit für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV die erforderliche Passivlegitimation.

Die Entscheidung ist u.a. für zahlreiche Schadensersatzverfahren gegen die Volkswagen AG von erheblicher Relevanz. Denn die Volkswagen AG wird aufgrund ihrer Eigenschaft als Motorenherstellerin regelmäßig von Fahrzeugkäufern der konzerneigenen Fahrzeughersteller Audi, Škoda und Seat in Anspruch genommen. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH sind in diesen Verfahren jedenfalls Ansprüche gerichtet auf den Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gegen die Volkswagen AG von vorn herein zurückzuweisen.

Pascal Schäfer, Frankfurt am Main

Massenverfahren bald im Schnelldurchlauf?
Zum Regierungsentwurf: Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH
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Sogenannte Massenverfahren sind seit geraumer Zeit eine große Herausforderung der Justiz. Oft liegen den Einzelklagen jedoch die gleichen entscheidungserheblichen Rechtsfragen zugrunde. Solange diese aber nicht durch den Bundesgerichtshof höchstrichterlich geklärt sind, sind die Instanzgericht über mehrere Jahre mit diesen Verfahren belastet.

Am 14. Juni 2023 wurde daher vom Bundesministerium der Justiz der Referentenentwurf zur Einführung eines Leitscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof veröffentlicht. Am 16. August 2023 hat die Bundesregierung die Einführung des Leitentscheidungsverfahrens beschlossen.

Der Entwurf sieht vor, dass bei Einlegung einer Revision in einem Massenverfahren, der Bundesgerichtshof aus allen bei ihm anhängigen gleichgelagerten Fällen ein geeignetes Verfahren auswählen und durch Beschluss zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen kann (§ 552b ZPO-E). Das auserwählte Verfahren soll ein möglichst breites Spektrum an offenen Rechtsfragen bieten, um so den Instanzgerichten und der Öffentlichkeit eine Richtschnur für gleichgelagerte Fallkonstellationen zu geben. Der Beschluss kann frühestens nach Eingang einer Revisionserwiderung oder einen Monat nach Zustellung der ersten Revisionsbegründung gefasst werden.

Besonders dabei ist, dass eine Leitentscheidung auch dann ergeht, wenn die Parteien die Revision zurückgenommen oder anderweitig, etwa durch einen außergerichtlichen Vergleich, beendet haben. Wird die Revision durchgeführt, ergeben sich keine Besonderheiten und das Verfahren endet mit einem Revisionsurteil.

Ergeht eine Leitentscheidung, entfaltet sie keine formale Bindungswirkung und hat auch keine Auswirkungen auf das konkrete, der Leitentscheidung zugrundeliegende, Revisionsverfahren.

Die Leitentscheidung, die gemäß § 565 ZPO-E getroffen wird, wenn die zum Leitentscheidungsverfahren bestimmte Revision ohne Urteil mit inhaltlicher Begründung ergeht, erfolgt im Beschlusswege. In diesem Beschluss wird dann festgestellt, dass die Revision beendet ist und dass eine Leitentscheidung zu dem im Beschluss nach § 552b ZPO-E benannten Rechtsfragen getroffen wird. Der Beschluss ist sodann zu begründen und soll unverzüglich, zum Beispiel durch eine Pressemitteilung, veröffentlicht werden.

Damit einher geht für die Instanzgerichte eine Erweiterung der Aussetzungsvorschriften in § 148 Abs. 4 ZPO-E, wonach eine Aussetzung bis zu einer Erledigung des Leitentscheidungsverfahrens erfolgen kann. Die Aussetzung soll nach dem Entwurf allerdings nur mit Zustimmung der Parteien erfolgen.

Ob das Leitentscheidungsverfahren auch in der Praxis tatsächlich zur Entlastung, insbesondere der Instanzgerichte, beiträgt, darf bezweifelt werden. Es dauert oft mehrere Jahre bis der erste Fall es überhaupt zum Bundesgerichtshof schafft. Die Erfahrung zeigt, dass bereits in der Berufungsinstanz die Verfahren aus prozesstaktischen Gründen durch die Parteien beendet werden, auch um eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu umgehen. Nach dem derzeitigen Entwurf entsteht zudem insbesondere bei den Senaten des Bundesgerichtshofs ein Mehraufwand, da vor Bestimmung eines Leitentscheidungsverfahren viele Verfahren aufgearbeitet werden müssen, um das „perfekte Verfahren“ auswählen zu können. Darüber hinaus werden auch die Instanzgerichte wohl nicht spürbar entlastet. Die Leitentscheidung kann dann zwar in gleichgelagerten Fällen richtungsweisend sein, das individuelle Verfahren muss aber trotzdem geführt werden. Eine effizientere Möglichkeit wäre sicher, wenn die Instanzgerichte selbst die Möglichkeit hätten, dem Bundesgerichtshof geeignete Verfahren mit entscheidungserheblichen Fragestellungen vorzulegen.

Jennifer Stuppy, Frankfurt am Main

 

Internetbetrug bei Ebay-Kleinanzeigen
Amtsgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 24.05.2023 zu Az. 31 C 4468/22 (17)
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Die Klägerin veröffentlichte eine Verkaufsanzeige bei Ebay-Kleinzeigen, um eine Phönixpalme zu verkaufen. Es meldete sich ein vermeintlicher Kaufinteressent und schlug vor, den Kaufpreis über die „Sicher-bezahlen-Funktion“ von Ebay-Kleinanzeigen zu zahlen. Hierfür übersandte der vermeintliche Käufer der Klägerin per WhatsApp einen Internet-Link, über den sie nach Angaben des vermeintlichen Käufers ihre Kreditkartendaten zum Empfang des Kaufpreises eingeben sollte. Die Klägerin klickte auf diesen Internetlink, über den sie auf eine VISA-Secure-Pay-Seite umgeleitet wurde, wo sie ihre Kreditkartendaten eingab. Die Klägerin ging hierbei offensichtlich irrtümlich davon aus, dass sie über diesen Vorgang den Erhalt des Kaufpreises auf ihr Kreditkartenkonto bestätigte. Tatsächlich veranlasste sie hierdurch die Zahlung eines Betrages an den vermeintlichen Käufer im Wege des sog. „PhotoTAN-Verfahrens“. Im Rahmen dieses Zahlungsvorgangs erschien auf dem Smartphone der Klägerin eine Nachricht mit der Angabe „450.000 KZT“, wobei das Kürzel KZT für die kasachische Währung Tenge steht. Auf Nachfrage der Klägerin an den vermeintlichen Käufer, was es mit der Angabe „450.000 KZT“ auf sich habe, erklärte dieser, dass es sich hierbei um eine bloße „Standardkennung“ handele. Die Klägerin bestätigte sodann diesen Betrag über ihre Banking-App und gab dadurch die Zahlung an den vermeintlichen Käufer frei. Später bemerkte sie die Abbuchung eines Betrags von 450.000 KZT, was einem Betrag von EUR 943,38 entsprach, auf ihrem Kreditkartenkonto. Die Klägerin erhob die Klage beim Amtsgericht Frankfurt a.M. gegen ihre Hausbank und verlangte die Rückerstattung dieser EUR 943,38 mit der Begründung, dass sie die entsprechende Kreditkartenzahlung nicht autorisiert habe.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Amtsgericht führte aus, dass mangels Zustimmungsbewusstsein der Klägerin zwar kein autorisierter Zahlungsvorgang vorliege, gleichwohl sei die Klägerin gegenüber der Bank zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, weil sie grob fahrlässig gehandelt habe. Denn die Klägerin habe sich leichtfertig von dem Betrüger „in eine Falle locken lassen“, obwohl es mehrere Warnzeichen gegeben habe, welche die Klägerin hätten stutzig machen müssen. Hierzu gehöre insbesondere, dass die Klägerin auf einen ein vom vermeintlichen Käufer übersandten Internetlink klickte, ihre Bankdaten dann auf einer VISA-Secure-Pay-Seite, also einer Bezahlseite, eingab, sie den vermeintlichen Empfang des Geldbetrages über eine TAN freigab, obwohl die TAN üblicherweise für Bezahlvorgänge verwendet werde, und dass ihr ein Geldbetrag von 450.000 KZT mitgeteilt wurde, ohne dass ein entsprechender Zusammenhang zum Kaufvorgang erkennbar war. In der Gesamtschau dieser Warnzeichen hätte es sich der Klägerin daher aufdrängen müssen, einem Betrüger aufzusitzen.

Der vorliegende Fall zeigt, dass gerade bei Online-Geschäften stets besondere Sorgfalt und Vorsicht geboten ist. Auch die Polizeibehörden warnen vor immer dreisteren Betrugsmaschen im Internet.

Florian Stritzke, Frankfurt am Main

 

Keine Vertragsänderung durch schlüssiges Verhalten
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 15.06.2023 – 6 U 107/22
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Der Bundesgerichtshof hat bereits mit Urteil vom 27.04.2021 – XI ZR 26/20 entschieden, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bank unwirksam sind, wenn diese ohne inhaltliche Einschränkung die Zustimmung des Kunden fingieren. Das OLG Frankfurt a.M. setzt diese Rechtsprechung nunmehr fort und entschied, dass eine Vertragsänderung ohne aktive Zustimmung des Kunden auch dann unwirksam ist, wenn dieser durch vermeintlich schlüssiges Verhalten seine Zustimmung erklärt.

In dem vom OLG Frankfurt a.M. entschiedenen Fall schrieb eine Bank im Jahr 2017 ihre Kunden an und wies auf eine Vertragsänderung der Kontoverträge hin. Unter anderem wurde ein Negativzins in Höhe von 0,4 % p.a. eingeführt. Die Bank wertete es als Einverständnis des Kunden zur Belastung des Kontoguthabens mit dem Negativzins, wenn das Konto ab dem 15.03.2017 ein Habensaldo aufwies.

Im Juni 2021 forderte ein Kunde die Bank zur Rückzahlung der Negativzinsen auf, da er keine aktive Zustimmung zu einer auf die Erhebung von Negativzinsen gerichteten Vertragsänderung erklärt habe. Die Rückzahlung der geleisteten Negativzinsen lehnte die Bank mit der Begründung ab, zwischen ihr und dem Kunden sei eine individuelle Vereinbarung hinsichtlich der Negativzinsen getroffen worden.

Das OLG Frankfurt a.M. folgte der Argumentation des Kunden. Eine aktive Zustimmung des Kunden zur Erhebung der Negativzinsen läge nicht vor. Auch dem Stehenlassen des Guthabens auf dem Konto über den 15.03.2017 hinaus könne kein Erklärungswert beigemessen werden, denn es bestehe kein Hinweis darauf, dass alle Bestandskunden der Beklagten deren Schreiben zur Konditionenänderung überhaupt zur Kenntnis genommen hätten.

Für die Praxis bedeutet dies weiterhin, dass Banken grundsätzlich für jegliche Vertragsänderungen die aktive Zustimmung ihrer Kunden einholen müssen und insbesondere weder Schweigen noch das Belassen eines Kontoguthabens als Zustimmung werten dürfen.

Clemens Stark, Frankfurt am Main

 

Kartellrechtsreform – Neue Eingriffsbefugnisse für das Bundeskartellamt
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Der Bundestag hat die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet. Die 11. Novelle („Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“) zielt darauf ab, das deutsche Kartellrecht zu modernisieren und dem Bundeskartellamt neue Kompetenzen einzuräumen. Die zentralen Änderungen umfassen:

  • Sektoruntersuchungen und Beseitigung von Wettbewerbsstörungen: In Anlehnung an das britische Modell werden dem Bundeskartellamt neue Eingriffsinstrumente eingeräumt. Durch die neuen Eingriffsinstrumente soll das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung erhebliche und fortwährende Störungen des Wettbewerbs schnell und effektiv abstellen können. Durch die Reform kann die Behörde nun verschiedene Maßnahmen anordnen, um festgestellte Störungen des Marktes zu adressieren. Zum Beispiel können Marktzugänge erleichtert, Konzentrationstendenzen gestoppt oder als ultima ratio Unternehmen entflochten werden.
  • Vorteilsabschöpfung bei Kartellrechtsverstößen: Unter erleichterten Bedingungen kann das Bundeskartellamt wirtschaftliche Vorteile bei Kartellrechtsverstößen abschöpfen. Hierfür sollen Vermutungsregeln gelten, wonach ein Verstoß gegen zentrale kartellrechtliche Verbote einen wirtschaftlichen Vorteil verursacht hat, dessen Höhe geschätzt werden kann. Für diesen Vorteil soll eine widerlegliche Vermutung dafür bestehen, wonach ein Unternehmen durch den nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1 % seiner Inlandsumsätze mit dem kartell- oder missbrauchsbefangenen Produkt oder Dienstleistung erzielt hat.
  • Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA): Weiterhin schafft der Gesetzentwurf die rechtlichen Grundlagen dafür, dass das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act unterstützen kann. Gleichzeitig wird durch diese Änderung auch die Möglichkeit der privaten Rechtsdurchsetzung erleichtert. Ähnlich wie im deutschen Kartellschadensersatzrecht sollen die Bestimmungen für „Private Enforcement“ auch auf den DMA angewendet werden können.

Fazit: Die Reform stärkt insbesondere die Rolle von Sektoruntersuchungen und ermöglicht weitreichende Eingriffe des Bundeskartellamtes zur Beseitigung von Wettbewerbsstörungen. Mit der verstoß- und missbrauchsunabhängigen Marktstrukturkontrolle wird dem Kartellrecht faktisch eine weitere Säule hinzugefügt, die neben dem Kartellverbot, der Missbrauchsaufsicht und der präventiven Fusionskontrolle gelten soll. Unternehmen müssen sich deshalb auf verschärfte kartellrechtliche Rahmenbedingungen einstellen. Die präventive Auseinandersetzung mit kartellrechtlichen Risiken wird dadurch noch wichtiger werden.

Ebru Keskin, Frankfurt am Main

 

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