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Newsletter Bank- und Prozessrecht Q3/2024

03.09.2024 | Bank- und Prozessrecht

Die Themen:

  • Warn- und Aufklärungspflicht der Bank des Zahlungsempfängers im mehrgliedrigen bargeldlosen Zahlungsverkehr
  • Widerruf von Darlehensverträgen: OLG Frankfurt zur Anwendbarkeit des Urteils des EuGH vom 21.12.2023 auf Immobiliardarlehensverträge
  • Zustellung von Schriftstücken innerhalb der EU
  • BGH zur Höhe des merkantilen Minderwerts von Unfallfahrzeugen
  • BGH bestätigt Zinssatz für Nachberechnungen bei Prämiensparverträgen

Aus anderen Rechtsgebieten:

  • Greenwashing beim GRÜN-OHR-HASEN? 

Warn- und Aufklärungspflicht der Bank des Zahlungsempfängers im mehrgliedrigen bargeldlosen Zahlungsverkehr

BGH, Urteil vom 14.05.2024 zu Az.: XI ZR 327/22

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte erneut über die Warn- und Aufklärungspflichten einer Bank im Überweisungsverkehr zu entscheiden. Die Kläger verlangten von der beklagten Bank Schadensersatz in Höhe von EUR 350.000,00 wegen einer angeblichen Verletzung dieser Pflichten. Sie hatten ihre Bank angewiesen, diesen Betrag auf ein Konto der U-AG bei der beklagten Bank zu überweisen. Am 1. März 2012 untersagte die schweizerische Finanzmarktaufsicht (FINMA) der U-AG das Entgegennehmen von Einlagen und sperrte deren Konten. Am 5. März 2012 wurde die beklagte Bank hierüber informiert, dennoch erfolgte am 6. März 2012 die Gutschrift der EUR 350.000,00. Kurz darauf wurde über das Vermögen der U-AG das Konkursverfahren nach Schweizer Recht eröffnet. Das Landgericht Frankfurt am Main wies die Klage mangels einer Pflichtverletzung ab, während das Berufungsgericht der Klage fast vollständig stattgab. Mögliche Ansprüche der zwischengeschalteten Banken gegen die Beklagte wurden an die Kläger abgetreten.

Der BGH entschied, dass die beklagte Bank tatsächlich eine Warn- und Hinweispflicht verletzt habe. Grundsätzlich sei ein Zahlungsdienstleister im bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht verpflichtet, das zugrundeliegende Valutaverhältnis zu prüfen. Jedoch könne im Einzelfall, wenn es Treu und Glauben erfordere, eine Rückfrage beim Kunden vor Ausführung des Zahlungsauftrags geboten sein. Ein solcher Ausnahmefall liege vor, wenn der Bank der unmittelbar bevorstehende wirtschaftliche Zusammenbruch des Überweisungsempfängers bekannt sei. Charakteristisch sei dabei, dass der Auftraggeber keine Kenntnis von den Umständen habe, die die Warnpflicht begründen.

Im vorliegenden Fall entschied der BGH, dass die beklagte Bank ihre Warnpflicht verletzt habe, indem sie die zwischengeschaltete Landesbank nicht über die Untersagungsverfügung der FINMA informiert habe. Diese hätte die Kläger entsprechend warnen können. Der BGH leitet den Schadensersatzanspruch jedoch nicht aus den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ab, sondern sieht die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend zu machen. Der Fall sei mit der Fallgruppe der mittelbaren Stellvertretung vergleichbar, da die beauftragte Bank im eigenen Namen, jedoch im Interesse der Kläger handelte. Bei der Weiterleitung des Auftrags könne den Klägern durch eine Sorgfaltspflichtverletzung der zwischengeschalteten Bank ein Schaden entstehen, für den die beauftragte Bank nicht hafte, der jedoch einen vertraglichen Ersatzanspruch gegen die zwischengeschaltete Bank begründen könne. Somit liege die für die Drittschadensliquidation erforderliche Schadensverlagerung vor.

Die Entscheidung des BGH überrascht, da bisher im Interbankenverhältnis keine Warn- oder Hinweispflichten bestanden. Primär sollte der Kunde, nicht die kontoführende Bank, vor einem durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Zahlungsempfängers verursachten Schaden geschützt werden, was die Voraussetzung der Zufälligkeit der Schadensverlagerung für die Drittschadensliquidation infrage stellt (vgl. Mohrbutter, BKR 2024, 660). Trotz der Klärung durch den BGH erscheint es ungewöhnlich, dass eine schadensersatzbewehrte Warn- und Hinweispflicht überhaupt bestand, da die Kontosperre der U-AG primär dem Schutz der Haftungsmasse vor Vermögensabflüssen diente. Da der BGH das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des OLG Frankfurt am Main zurückverwiesen hat, bleibt abzuwarten, wie das OLG mit der Entscheidung des BGH umgehen wird. Der BGH hatte zudem über Kausalitäts- und Verjährungsfragen entschieden, die hier jedoch nicht behandelt wurden. Bemerkenswert ist die Übertragung der „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ auf Warn- und Hinweispflichten einer Bank im Zahlungsverkehr. Demnach muss die beklagte Bank beweisen, dass der Schaden auch bei ordnungsgemäßer Warnung der zwischengeschalteten Bank eingetreten wäre.

Larissa Normann, Frankfurt am Main

larissa.normann@goehmann.de

Widerruf von Darlehensverträgen: OLG Frankfurt zur Anwendbarkeit des Urteils des EuGH vom 21.12.2023 auf Immobiliardarlehensverträge

OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2024 zu Az. 17 U 63/23

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit des Widerrufs eines grundpfandrechtlich besicherten Darlehensvertrages über zwei Darlehen, welche der Umschuldung eines Einfamilienhauses dienten. Der 17. Senat des OLG Frankfurt kam zu dem Ergebnis, dass die Widerrufsinformation dem gesetzlichen Muster entspreche, so dass zugunsten der finanzierenden Bank die Gesetzlichkeitsfiktion greift. Die Verwendung einer einheitlichen Widerrufsinformation für beide in einer Vertragsurkunde zusammengefassten Darlehen sei unschädlich. Streitig war ferner die Frage, ob die Pflichtangaben ordnungsgemäß erteilt wurden. Die Darlehensnehmer beriefen sich u.a. darauf, dass die Angabe des Verzugszinses nicht ordnungsgemäß sei, weil der Verzugszins nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes, sondern mit „5 Prozentpunkten über Basiszinssatz“ angegeben wurde. Nach Auffassung der Darlehensnehmer würden für den vorliegenden Immobiliardarlehensvertrag auch nicht die eingeschränkten Pflichtangaben gemäß Art. 247 § 9 EGBGB a.F. gelten, da die Darlehensgewährung nicht gemäß § 503 BGB a.F. zu Bedingungen erfolgt sei, die für grundpfandrechtlich abgesicherte Verträge üblich seien.

Dem schloss sich der 17. Senat des OLG Frankfurt jedoch nicht an. Er stellte vielmehr fest, dass es offenbleiben könne, ob es sich vorliegend um ein Darlehen gemäß § 503 BGB a.F. handele. Denn selbst wenn dies nicht der Fall wäre, sei im Hinblick auf die Angabe des Verzugszinses die aktuelle Rechtsprechung des EuGH vom 21.12.2023 zu Az. C-38/21 zu berücksichtigen, wonach nur für den Verbraucher erhebliche Fehler bei den Pflichtangaben zur Widerruflichkeit des Darlehensvertrages führen. Gemäß dem Urteil des BGH vom 27.02.2024 zu Az. XI ZR 258/22 sei das Fehlen der Angabe des konkreten Verzugszinses zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den Verbraucher nicht erheblich, da davon auszugehen sei, dass dieser eine ordnungsgemäße Vertragsdurchführung beabsichtige. Diese Rechtsprechung sei zwar lediglich zu den Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen ergangen, müsse aber erst recht für Immobiliardarlehensverträge gelten.

Das Urteil des OLG Frankfurt verdient Zustimmung. Zwar erging die Entscheidung des EuGH vom 21.12.2023 zu Az. C-38/21 zu Allgemein-Verbraucherdarlehen und nicht zu Immobiliardarlehen. Da aber nach der Vorstellung des Gesetzgebers bei Immobiliardarlehen ein geringeres Informations- und Schutzbedürfnis des Verbrauchers besteht, hat der 17. Senat folgerichtig im Wege eines „erst-recht-Schlusses“ festgestellt, dass die vom EuGH aufgestellte „Erheblichkeitsschwelle“ bei Fehlern im Rahmen der Pflichtangaben auch für Immobiliardarlehen gelten muss.

Florian Stritzke, Frankfurt am Main

florian.stritzke@goehmann.de

Zustellung von Schriftstücken innerhalb der EU

Ein Überblick zu den Anforderungen an die Sprachkenntnisse des Empfängers

Nicht selten kommt es vor, dass ein Versäumnisurteil gegen die beklagte Partei mit Sitz im EU-Ausland im schriftlichen Vorverfahren wegen fehlender Verteidigungsanzeige ergeht. Ist das entsprechende Schriftstück aber überhaupt wirksam gem. §§ 166 ff ZPO zugestellt worden?

Für Zustellungen im Ausland kommt gem. § 183 ZPO die (Neufassung der) Verordnung (EU) 2020/1784 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten (Zustellung von Schriftstücken) zur Anwendung. Diese Verordnung gilt für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen.

Unter welchen Voraussetzungen kann die beklagte Partei nun die Annahme eines Schriftstückes rechtmäßig verweigern? Art. 12 EuZVO regelt, dass der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstückes verweigern darf, wenn das Schriftstück nicht in einer Sprache abgefasst ist, die der Empfänger versteht oder nicht in der (bzw. einer bei mehreren) Amtssprache des Empfangsmitgliedsstaats abgefasst ist oder keine entsprechende Übersetzung beigefügt ist.

Sofern die beklagte Partei eine Gesellschaft oder juristische Person ist, ist fraglich, auf wen oder was abgestellt wird. Die Herausforderung liegt hier angesichts des konkret-individuellen Maßstabs darin, angemessene Zurechnungskriterien für innerhalb des Unternehmens vorhandene Sprachkenntnisse zu finden. Die herrschende Meinung fordert, dass die nach der üblichen dezentralen Organisationsstruktur eines Unternehmens mit der Sache befasste Abteilung über die notwendigen Sprachkenntnisse verfügt. Der organschaftliche Status des insofern Sprachkundigen ist dabei irrelevant. Zufällig vorhandene (privat erlangte) Sprachkenntnisse von Mitarbeitenden einer entsprechenden Abteilung genügen dann nicht, wenn diese Sprache zuvor nie im Außenverhältnis des Unternehmens verwendet wurde.

Der Empfänger muss die Sprachkenntnisse so gut beherrschen, dass er das zugestellte Schriftstück so verstehen kann, dass er seine Rechte geltend machen kann. Dabei genügt das passive Sprachverständnis. Es besteht keine Amtsermittlungspflicht hinsichtlich der Sprachkenntnisse des Empfängers. Die Beweislast trägt grundsätzlich derjenige, der die Zustellung veranlasst hat bzw. in dessen Interesse die Zustellung liegt.

Die subjektiven Sprachkenntnisse des Empfängers können dabei anhand von Indizien bestimmt werden. Beispielsweise kann herangezogen werden, ob der Empfänger bereits Schriftstücke in der betreffenden Sprache selbst verfasst hat, ob die Sprachkenntnisse für die Ausübung seines Berufs erforderlich sind oder ob der Empfänger bereits längere Zeit in dem Mitgliedsstaat gewohnt hat, in dem das Gerichtsverfahren anhängig ist. Macht der Empfänger selbst Angaben über seine Sprachkenntnisse, beispielsweise auf der eigenen Internetseite, muss er sich hieran festhalten lassen. Umstritten ist, ob bei Handelsbetrieben, die im Ausland tätig sind, jedenfalls Englischkenntnisse vorausgesetzt werden können. Starke Indizwirkung ist wohl anzunehmen, wenn das Unternehmen im englischsprachigen Ausland tätig ist. Für andere Sprachen als Englisch können weitere Aspekte verstärkend herangezogen werden. Betreibt ein Unternehmen beispielsweise Geschäfte in größerem Umfang in einem bestimmten Staat, soll davon ausgegangen werden können, dass es über entsprechend sprachkundige Mitarbeiter verfügt.

Die ursprüngliche verweigerte Zustellung kann durch eine nachträgliche Übersetzung geheilt werden. Das Zustellungsdatum ist dann grundsätzlich der Tag der zweiten Zustellung, nicht der Tag des ersten Zustellversuchs (Art. 12 Abs. 5 S. 2 EuZVO).

Jennifer Stuppy, Frankfurt am Main

jennifer.stuppy@goehmann.de

BGH zur Höhe des merkantilen Minderwerts von Unfallfahrzeugen

BGH, Urteil vom 06.07.2024 zu Az. VI ZR 188/22

Der BGH hat mit Urteil vom 16. Juli 2024 (Az. VI ZR 188/22) entschieden, dass für die Schätzung des merkantilen Minderwerts eines unfallbeschädigten Fahrzeugs grundsätzlich der Nettoverkaufspreis zugrunde zu legen ist. Wird davon abweichend der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem Umsatzsteueranteil entsprechender Betrag in Abzug zu bringen ist.

Der Senat betont zunächst, dass der Ersatz des merkantilen Minderwerts nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UstG unterliege, weil es sich bei dieser gesetzlichen geregelten Entschädigung (§ 251 Abs. 1 BGB) nicht um eine Leistung gegen Entgelt handele, da es am erforderlichen Austausch gegenseitiger Leistungen fehle.

Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwerts nach § 287 ZPO sei ein hypothetischer Verkauf des Fahrzeugs. Dabei sei aus Rechtsgründen von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen auszugehen. Denn unabhängig davon, ob der Geschädigte Unternehmer ist oder nicht, könne sich die Umsatzsteuer, würde sie überhaupt anfallen, auf die Höhe des merkantilen Minderwerts nicht auswirken. Wird der merkantile Minderwert hingegen vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, sei ein dem Umsatzsteueranteil entsprechender Betrag abzuziehen. Anderenfalls erfolge eine ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten. Eine solche sei von dem Wertinteresse des Entschädigungsanspruchs aus § 251 BGB, das auf Ausgleich der Differenz zwischen dem Wert des Vermögens vor und nach dem schädigenden Ereignis gerichtet sei, nicht erfasst.

Der Senat verdeutlicht seine Ausführungen mit folgendem Rechenbeispiel: Unterstellt der Bruttoverkaufspreis ohne Unfallschaden betrage EUR 15.000,00 und der merkantile Minderwert werde auf EUR 2.000,00 geschätzt, dann beliefe sich der Bruttoverkaufspreis mit Unfallschaden auf EUR 13.000,00. Der umsatzsteuerpflichtige Geschädigte (Unternehmer) hätte jeweils Verkaufspreise von EUR 12.605,04 (EUR 15.000,00 abzgl. 19 % USt.) ohne Unfallschaden und EUR 10.924,37 (EUR 13.000,00 abzgl. 19 % USt.) mit Unfallschaden erzielt. Sofern nunmehr der auf Grundlage des Bruttoverkaufspreis geschätzte merkantile Minderwert in Höhe von EUR 2.000,00 addiert werden würde, betrüge der Vermögenswert des Unternehmers nach dem Unfall EUR 12.924,37, mithin EUR 319,33 mehr als ohne Unfallschaden. Der merkantile Minderwert sei deshalb um den überschießenden Teil zu reduzieren und belaufe sich auf EUR 1.680,67 (EUR 2.000,00 – EUR 319,33).

Die sich aufdrängende Frage, welche Preise eine Privatperson bei einem Verkauf erzielen würde, insbesondere, ob diese Preise, obwohl netto, betragsmäßig an die von Unternehmern erzielbaren Bruttopreise heranreichen würden, ließ der Senat offen.

Für die Praxis ist damit entscheidend, ob der merkantile Minderwert auf Basis des Netto- oder Bruttoverkaufspreises geschätzt wird. In dem letzteren Fall, der der übliche sein dürfte, ist ein Abzug in Höhe des dem Umsatzsteueranteil entsprechenden Betrags vorzunehmen.

Pascal Schäfer, Frankfurt am Main

pascal.schaefer@goehmann.de

BGH bestätigt Zinssatz für Nachberechnungen bei Prämiensparverträgen

BGH, Urteil vom 09.07.2024, Az. XI ZR 44/23 und XI ZR 40/23

Der BGH hat im Streit um Nachzahlungen wegen unwirksamer Zinsklauseln bei Prämiensparverträgen erstmals einen Zinssatz für die Nachberechnung der Zinsen bestätigt. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage der ordnungsgemäßen Gestaltung von Zinsanpassungsklauseln in langfristigen Prämiensparverträgen.

Konkret ging es um zwei Urteile der Oberlandesgerichte Naumburg und Dresden, die eine Zinsberechnung auf Grundlage der Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere mit acht bis 15 Jahren Restlaufzeit festgelegt hatten. Dieser Referenzzinssatz hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand (BGH, Urteil vom 09.07.2024, Az. XI ZR 44/23 und XI ZR 40/23). Die von den Oberlandesgerichten als Referenzzins herangezogenen Umlaufrenditen inländischer Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von über acht bis 15 Jahren genügten den Anforderungen, die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung an einen Referenzzins für die variable Verzinsung der Sparverträge zu stellen seien. Sie würden von der Deutschen Bundesbank, einer unabhängigen Stelle, nach einem genau festgelegten Verfahren ermittelt und in deren Monatsberichten regelmäßig veröffentlicht. Daher begünstigten sie weder einseitig die Sparer noch die beklagten Finanzinstitute. Die Umlaufrenditen von Bundesanleihen spiegelten zudem die jeweils aktuellen risikolosen Zinsen am Kapitalmarkt wider und enthielten, in Ermangelung eines Ausfallrisikos, keinen Risikoaufschlag. Zudem kämen die Restlaufzeiten von über acht bis 15 Jahren der typisierten Spardauer bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe nach 15 Jahren hinreichend nahe.

Weiter hat der BGH klargestellt, dass die für den Beginn der dreijährigen Regelverjährung gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Verbraucher sich nicht auf die Unwirksamkeit der in den Sparverträgen enthaltenen Zinsanpassungsklausel und die höchstrichterlich festgelegten Parameter zur Zinsanpassung beziehen muss. Es ist demnach nicht erforderlich, dass der Anspruchsinhaber rechtlich zutreffende Schlussfolgerungen zieht, damit der Lauf der Verjährungsfrist für seinen Anspruch in Gang gesetzt wird.

Ebru Keskin, Frankfurt am Main

ebru.keskin@goehmann.de

Greenwashing beim GRÜN-OHR-HASEN?

Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ ist ohne Erläuterung irreführend

BGH, Urteil vom 27.06.2024 – I ZR 98/23

Der BGH hat seine Rechtsprechung bekräftigt, wonach strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit von Werbeaussagen mit Umweltschutzbegriffen und Umweltzeichen zu stellen sind. Darüber hinaus wurden die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) verschärft.

Der Entscheidung des BGH lag eine auffällig pinke Werbung der Herstellerin von beliebten Produkten aus Fruchtgummi und Lakritz mit folgender Aussage zugrunde: „Seit 2021 produziert […] alle Produkte klimaneutral.“ Darüber hinaus war in der Anzeige ein Label mit den Wörtern „klimaneutral“ und „Produkt“ sowie eine Website nebst dazugehörigem QR-Code abgebildet. Das gleiche Label befand sich „auch gut sichtbar“ auf der entsprechenden Produktverpackung. Erst auf der Website erhielt der Interessierte die Information, dass die beworbenen Klimaneutralität durch die Förderung von Klimaschutzprojekten erreicht wurde.

Das Berufungsgericht sah keine Irreführung i. S. d. UWG, der BGH hingegen bejahte diese wegen der Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ und nahm ein „unlauteres Vorenthalten einer wesentlichen Information“ an.

Nach Auffassung des BGH gelten für die Beurteilung umweltbezogener Werbeaussagen besondere rechtliche Maßstäbe. Insoweit zieht der Senat Parallelen zu seiner Rechtsprechung zur gesundheitsbezogenen Werbung, bei welcher mit Blick auf das Schutzgut Gesundheit besonders strenge Anforderungen zu stellen seien. Infolge der allgemeinen Anerkennung der Umwelt als wertvolles und schutzbedürftiges Gut und zunehmendem Umweltbewusstsein könne für umweltbezogene Werbeaussagen nichts anderes gelten. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass heutzutage vielfach Waren und Leistungen bevorzugt würden, deren besondere Umweltverträglichkeit beworben wird. Auch seien Werbemaßnahmen, die an den Umweltschutz anknüpfen, besonders geeignet, „emotionale Bereiche im Menschen anzusprechen, die von einer Besorgnis um die eigene Gesundheit bis zum Verantwortungsgefühl für spätere Generationen reichen“.

An die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise seien daher strenge Anforderungen zu stellen. Fehlten die gebotenen aufklärenden Hinweise in der Werbung selbst oder seien sie nicht deutlich sichtbar herausgestellt, bestehe in besonders hohem Maße die Gefahr, dass bei den angesprochenen Verkehrskreisen irrige Vorstellungen über die Beschaffenheit der angebotenen Ware hervorgerufen und sie dadurch in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst werden.

In der Anzeige habe sich die werbliche Angabe „klimaneutral“ nicht auf das Unternehmen der Herstellerin, sondern ausdrücklich auf die Produktion ihrer Waren bezogen. Unstreitig erfolgte diese aber nicht klimaneutral und gleichwohl fehlte ein Hinweis die bloße Kompensation von CO₂ Emissionen. Nach der Verkehrsanschauung sei das Versprechen einer auf den Produktionsprozess bezogenen CO₂ Vermeidung von dem Begriff „klimaneutral“ umfasst, weshalb der Senat eine Irreführung bejahte.

Letztlich bewertete der BGH diese auch als „unlauter“, da der Klimaschutz eine zunehmend wichtige Rolle spiele und die Bewerbung mit einer vermeintlichen Klimaneutralität erhebliche Bedeutung für die Kaufentscheidung haben könne. Ein weiterer Baustein in der auch bei Finanzprodukten immer wichtiger werdenden Thematik des Greenwashings.

Dr. Michael Ott und Jasmin Englert, Frankfurt am Main

Michael.Ott@goehmann.de; Jasmin.Englert@goehmann.de

 

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