Newsletter Bank- und Prozessrecht Q1/2023
29.03.2023 | Bank- und Prozessrecht
Zurückweisung der Berufung als unzulässig – Prozesstaktik von Verbraucheranwälten erweist sich als Boomerang
OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.12.2022 zu Az.: 6 U 281/21
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Die Klagepartei machte gegen die finanzierende Bank Ansprüche aus dem Widerruf einer Fahrzeugfinanzierung geltend. In der ersten Instanz vor dem LG Stuttgart beantragte die Klagepartei die Feststellung, dass der finanzierenden Bank keine Ansprüche mehr aus dem Darlehensvertrag zustehen. Hilfsweise für den Fall, dass dem Feststellungsantrag stattgegeben wird, beantragte die Klagepartei, die beklagte Bank zu verurteilen, die an die Bank erbrachten Zahlungen nach Rückgabe des Fahrzeugs an die Bank zurückzuerstatten. Die Klage wurde in der ersten Instanz vom LG Stuttgart abgewiesen, weil das Gericht zu dem Ergebnis kam, dass der Widerruf nicht fristgemäß erklärt und die Widerrufsformation sowie die Pflichtangaben ordnungsgemäß erteilt wurden. Über die Hilfsanträge der Klagepartei musste das erstinstanzliche Gericht nicht entscheiden, da die Bedingung (Stattgabe des Feststellungsantrags) nicht eingetreten war. Hiergegen legte die Klägerseite die Berufung beim OLG Stuttgart ein. Zwischenzeitlich wurde das Fahrzeug allerdings von der Klagepartei veräußert und das Darlehen zurückgezahlt. Die Klagepartei beantragte daraufhin mit der Berufungsbegründung im Wege einer „Klageänderung“ die Rückzahlung sämtlicher erbrachter Zahlungen an die Bank abzgl. Wertersatz. Der ursprüngliche Feststellungsantrag wurde übereinstimmend für erledigt erklärt. Das OLG Stuttgart wies in seinem Beschluss vom 02.12.2022 zu Az.: 6 U 281/21 darauf hin, dass die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei. Denn eine zulässige Berufung setze voraus, dass der Berufungsführer die Beschwer bekämpft, die sich aus der Abweisung der Klage ergibt. Durch die übereinstimmende Erledigungserklärung des in der ersten Instanz abgewiesenen negativen Feststellungsantrags (Hauptantrag), sei zugleich die Beschwer für die Klagepartei weggefallen. Mit der Berufungsbegründung verfolge die Klägerseite nunmehr andere Ansprüche, über die das erstinstanzliche Gericht nicht entschieden habe. Mangels Beschwer sei die Berufung somit unzulässig.
Der vorliegende Beschluss des OLG Stuttgart zeigt, dass sich Verbraucheranwälte auf „dünnes Eis“ begeben, wenn sie im Rahmen einer widerrufenen Fahrzeugfinanzierung lediglich die Feststellung beantragen, dass der Bank keine Ansprüche mehr aus dem Darlehensvertrag zustehen, und die Rückabwicklung des Darlehensvertrages und des Kaufvertrages lediglich hilfsweise oder gar nicht beantragen. Dies ist ein beliebtes Mittel von Verbraucheranwälten, um einen Gerichtsstand am Sitz des Verbrauchers zu begründen. Diese Prozesstaktik der Verbraucheranwälte kann sich jedoch als Boomerang erweisen, wenn in der ersten Instanz die Klage abgewiesen wurde und in dem Zeitraum zwischen Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Stellen der Berufungsanträge das Darlehen zurückgezahlt wird, weil hierdurch das erforderliche Feststellungsinteresse für den negativen Feststellungsantrag entfällt. Wie der vorliegende Fall zeigt, ist dann ein Umstellen der Berufungsanträge nicht mehr ohne weiteres möglich.
Florian Stritzke, Frankfurt am Main
EuGH zum Leasing- und Darlehensvertragsrecht: Schlussanträge des Generalanwalts
EuGH, Verkündung der Schlussanträge am 14.02.2023 zu Az.: C-38/21, C-47/21 und C-232/21
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In den verbundenen Verfahren gegen insgesamt vier, die Erwerbe von Fahrzeugen finanzierenden Banken hatte die Große Kammer dem Generalanwalt nach der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2022 konkrete Vorlagefragen zu den Komplexen Leasing und Darlehen zur Beantwortung vorgegeben. Um es vorweg zu nehmen: die Schlussanträge von Herrn Collins sind sehr gut strukturiert und überzeugen auch in der stringenten und für die Bankenseite weitestgehend erfreulichen Argumentation.
Leasingverträge über Kraftfahrzeuge mit Kilometerabrechnung und ohne Erwerbsverpflichtung fallen nach Auffassung des Generalanwalts ausschließlich in den Anwendungsbereich der allgemeinen Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU. Hauptzweck eines solchen Vertrags sei es, dem Verbraucher gegen Zahlung eines monatlichen Entgelts die Nutzung eines Fahrzeugs seiner Wahl für einen bestimmten Zeitraum zu ermöglichen
Ein Widerrufsrecht stehe dem Verbraucher zu, wenn er einen Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen oder im Wege des Fernabsatzes geschlossen hat. Bei dem Abschluss eines Kilometerleasingvertrags in den Räumen des Autohändlers handele es sich nicht um einen Vertrag, der „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde“, sofern der Händler im Namen oder Auftrag des Unternehmens gehandelt habe. Dies sei im Einzelfall durch die nationalen Gerichte zu beurteilen, wobei eine Abschlussvollmacht nach Meinung des Generalanwalts dabei kein zwingendes Kriterium ist. Ziel der Vorschrift sei es, den Verbraucher vor einem etwaigen psychischen Druck oder Überraschungsmoment zu schützen. Ein Verbraucher, der sich zum Erwerb eines Fahrzeugs in Autohaus begebe, könne nicht überrascht sein, dass ihm auch eine Finanzierungsmöglichkeit angeboten werde.
Der Ausschluss des Widerrufsrechts für Dienstleistungsverträge im Mietwagenbereich, Art. 16 der Richtline, sei eng auszulegen und auf das Kilometerleasing nicht anwendbar. Die Ausnahme vom Verbraucherschutz sei nur gerechtfertigt, um den Unternehmer gegen das Risiko der Bereitstellung und Bindung von Kapazitäten zu schützen, die sie möglicherweise nicht anderweitig nutzen können. Ein solches Risiko gebe es bei Kfz-Leasingverträgen nicht.
Schließlich sei ein Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung nicht als „Fernabsatzvertrag“ zu qualifizieren, wenn eine Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, an den Verhandlungen über diesen Vertrag bei körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers mitwirkt, selbst wenn sie nicht befugt ist, den Unternehmer bei dem Abschluss dieses Vertrags zu vertreten.
Zum zweiten Komplex, dem Darlehensrecht, stellt der Generalanwalt fest, dass nationale Gerichte nicht verpflichtet seien, mit Gesetzlichkeitsfiktion ausgestattete nationale Regelung unberücksichtigt zu lassen, auch wenn diese gegen Unionsrecht verstoßen. Insoweit fehle es schon an der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts.
Im Zusammenhang mit dem Beginn der Widerrufsfrist lässt der Generalanwalt den nationalen Gerichten ein klein wenig Spielraum: die Frist beginne, wenn dem Verbraucher die Pflichtangaben vollständig und richtig übermittelt worden sind, es sei denn, die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit sei nicht geeignet, den Verbraucher bei seiner Beurteilung des Umfangs seiner Rechte und Pflichten zu beeinträchtigen, was nationale Gerichte zu prüfen haben.
Bestätigt wird die Einschätzung in den Schlussanträgen, die dem Urteil vom 9. September 2021 vorausgingen, wonach das Widerrufsrecht mit vollständiger Erfüllung des Kreditvertrages erlischt. Erfreulicherweise bestätigt der Generalanwalt auch die Möglichkeit der missbräuchlichen Ausübung, sofern über den Zeitablauf hinausgehende, besondere Umstände vorliegen, auch wenn sie erst nach dem Widerruf zutage treten. Diese Anforderungen sind allerdings nicht nach nationalem, sondern nach Unionsrecht zu beurteilen.
Schließlich billigt der Generalanawalt indirekt die im deutschen Recht geregelte Vorleistungspflicht mit der pragmatischen Begründung, dass die EU-Richtlinie selbst die Konsequenzen des Widerrufs eines Kreditvertrages auf den damit verbundenen Kaufvertrag nicht regele.
Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH sich diesen Wertungen – wie nach Erhebungen der FAZ immerhin in 86 % der Fälle – anschließt. Wir erwarten die Urteilsverkündung für den Frühsommer.
Dr. Ilka Heigl und André Berger, Frankfurt am Main
Anforderungen an die Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung
Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.01.2023 zu Az. 4 U 134/21
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Die Vergabe von Krediten gehört zum Kerngeschäft von Kreditinstituten. Insbesondere Immobiliardarlehensverträge sind dabei regelmäßig auf eine lange Laufzeit ausgelegt. Hinsichtlich Verbraucherdarlehensverträgen sieht das Gesetz in § 500 Abs. 2 S. 1 BGB jedoch vor, dass der Verbraucher ein Allgemein-Verbraucherdarlehen jederzeit vorzeitig zurückzahlen kann. Im Hinblick auf einen Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz regelt das Gesetz in § 502 Abs. 2 S. 2 BGB, dass eine vorzeitige Rückzahlung des Darlehens im Zeitraum der Sollzinsbindung nur dann erfolgen kann, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse des Darlehensnehmers besteht. In diesem Fall gewährt das Gesetz dem Darlehensgeber einen Anspruch auf eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden. Der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung jedoch ausgeschlossen, wenn unter anderem die Angaben über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind.
Ob diese Angaben in den Vertragsunterlagen ordnungsgemäß sind, ist immer wieder Gegenstand von Rechtstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und Kreditinstituten. In dem vom Saarländischen Oberlandesgericht zu entscheidenden Sachverhalt hatte das beklagte Kreditinstitut zunächst darüber informiert, dass der Darlehensnehmer seine Verbindlichkeiten im Zeitraum der Sollzinsbindung vorzeitig zurückführen könne. In der nachfolgenden Ziffer, die Bezug auf die vorgenannte nahm, informierte die Beklagte, dass der Darlehensnehmer im Fall der vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens den der Beklagten hieraus entstehenden Schaden zu ersetzen habe. Die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung erfolge anhand der vom Bundesgerichtshof für zulässig befundenen Aktiv-Passiv-Methode, welche davon ausgehe, dass die durch die Rückzahlung frei gewordenen Mittel laufzeitkongruent in Kapitalmarktiteln angelegt werden. Für die Ermittlung des Zinsverschlechterungsschadens sei die „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ maßgeblich. Als Wiederanlagezins werde die Renditelaufzeit kongruenter „Kapitalmarkttitel öffentlicher Schuldner“ zugrunde gelegt.
Das Saarländische Oberlandesgericht entschied, dass diese Angaben gleich in mehreren Punkten unzureichend seien. So sei zunächst das Abstellen auf die Wiederanlage in „Kapitalmarkttitel öffentlicher Schuldner“ unzutreffend, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Aktiv-Passiv-Methode die Rendite einer Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen zugrunde zu legen sei. Zudem entstehe durch das Abstellen hinsichtlich des Zinsverschlechterungsschadens auf die „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ der unzutreffende Eindruck, dass damit die restliche Laufzeit des Darlehens gemeint sei und nicht bloß die Restlaufzeit der Zinsbindung. Schließlich seien die Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auch unzutreffend, weil sich ihnen nicht entnehmen ließe, dass die berechtigte Zinserwartung und damit der Zinsschaden auch durch die vereinbarten Sondertilgungsrechte beeinflusst werden.
Damit entschied das Saarländische Oberlandesgericht konträr zum OLG Frankfurt und zum OLG Stuttgart, die sich in ähnlich gelagerten Fällen bereits mit solchen Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung befasst haben. Nach Auffassung des OLG Frankfurt ist ein Abstellen auf „Kapitalmarkttitel öffentlicher Schuldner“ nicht fehlerhaft, da es sich bei Hypothekenpfandbriefen jedenfalls um „Kapitalmarktitel“ handle, die sich gem. § 20 PfandBG auch auf öffentliche Schuldner beziehen könnten. Eine nähere Beschreibung der für die Berechnung heranzuziehenden Wertpapiere sei nicht erforderlich, da lediglich die wesentlichen Parameter in groben Zügen zu benennen seien. Wesentlich sei, dass die Kapitalmarktrendite anhand von sicheren Schuldtiteln zu ermitteln sei, worum es sich jedenfalls bei „Kapitalmarkttiteln öffentlicher Schuldner“ handle. Welche Schuldtitel letztlich tatsächlich herangezogen würden, sei eine Frage der Berechnung im Einzelfall und bedürfe keiner näheren abstrakten Beschreibung (OLG Frankfurt, Urteil vom 13.08.2021 – 24 U 270/20). Auch die Formulierung „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ sei ausreichend, wenn die Klausel mit den Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung Bezug auf eine andere Ziffer des Darlehensvertrags nehme, aus der ersichtlich sei, dass unter „vorzeitiger Rückzahlung“ lediglich eine vorzeitige Rückzahlung im Zeitraum der Sollzinsbindung zu verstehen sei (OLG Frankfurt, Urteil vom 13.08.2021 – 24 U 270/20; OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.2022 – 9 U 168/21). Schließlich sei das Fehlen einer Angabe zu etwaigen Sondertilgungsrechten unbeachtlich, wenn das Sondertilgungsrecht als Individualvereinbarung im Darlehensvertrag festgeschrieben worden sei. Denn ein verständiger Verbraucher wisse, dass die allgemeinen Vertragsbedingungen hinsichtlich der Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung für eine Vielzahl von Fällen offen sein müssen. Er erwarte daher nicht, dass eine allgemeine Erläuterung zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auf die in seinem Fall vereinbarten Sonderkonditionen ausdrücklich eingehe. Insoweit sei ein Verweis auf die „sich ergebenden Zinseinbußen“ ausreichend. Dass bei den Zinseinbußen das Sondertilgungsrecht zu berücksichtigen sei, sei eine Frage der Berechnung im Einzelfall und bedürfe keiner nähern abstrakten Beschreibung (OLG Frankfurt, Urteil vom 13.08.2021 – 24 U 270/20).
Die Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts höhlt das gesetzliche Bild vom verständigen Verbraucher aus und zeigt einmal mehr die praktischen Schwierigkeiten bei Umsetzungen der Anforderungen an die Erteilung ordnungsgemäßer Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auf. Der Senat hat aufgrund der divergierenden Entscheidung der Oberlandesgerichte die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob insoweit eine höchstrichterliche Klärung dieser Rechtsfragen erfolgen wird.
Clemens Stark, Frankfurt am Main
Leistungsverweigerungsrecht des Darlehensgebers nach Veräußerung des Fahrzeugs nach Widerruf?
BGH, mündliche Verhandlung am 14.02.2023 zu Az. XI ZR 537/21 und XI ZR 152/22
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Am 14.02.2023 verhandelte der XI. Zivilsenat des BGH zwei Verfahren betreffend zweier Darlehensverträgen aus Juli 2014 bzw. November 2016. Nach der jeweiligen Erklärung des Widerrufs in den Jahren 2018 bzw. 2020 bedienten die Darlehensnehmer die Darlehen zunächst weiter und veräußerten das jeweilige Fahrzeug schließlich nach Ablauf des vereinbarten – und in einem Fall sogar auf Wunsch des Darlehensnehmers um drei Monate verlängerten – Darlehenszeitraumes. Die Veräußerung erfolgte in einem Fall an einen Dritten, im anderen Fall im Rahmen der in den Darlehensvertrag aufgenommenen Rückkaufvereinbarung zurück an den ursprünglichen Verkäufer.
Die Berufungsgerichte (OLG Stuttgart bzw. OLG Celle) haben den Klagen teilweise stattgegeben und dabei ausgeführt, dass den Darlehensnehmern kein Rechtsmissbrauch vorzuwerfen sei und ihrem Zahlungsanspruch auch kein Leistungsverweigerungsrecht entgegenstehe, weil die Herausgabeverpflichtung infolge der Veräußerung des Fahrzeugs entfallen sei.
Der BGH verwies zunächst auf seine bekannte Rechtsprechung, wonach der Widerruf wegen der unzureichenden Angaben zum Verzugszinssatz nicht verfristet sei. Die tatrichterliche Einschätzung der Berufungsgerichte, wonach die fortgesetzte Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Rückgewährschuldverhältnis durch die Darlehensnehmer keine unzulässige Rechtsausübung darstelle, sei revisionsrechtlich nicht angreifbar. Auch die Modalitäten des Wertersatzanspruchs – das OLG Stuttgart hat bei der Ermittlung des objektiven Fahrzeugwertes zum Zeitpunkt der Übergabe an den Darlehensnehmer den um die Umsatzsteuer bereinigten Kaufpreis herangezogen – seien mittlerweile geklärt. Allerdings stelle sich die Frage, ob und wie sich die Veräußerung des Fahrzeugs auf die Vorleistungspflicht des Darlehensnehmers zur Herausgabe des Fahrzeugs ausgewirkt habe.
Der Darlehensgeber argumentierte, die vom Gesetzgeber klar normierte Vorleistungspflicht des Verbrauchers dürfe nicht durch eine willentliche Veräußerung in Kenntnis der Herausgabepflicht ausgehebelt werden, denn dies würde einen Anreiz zu pflichtwidrigem Verhalten setzen. Insofern sei auch unerheblich, ob die Veräußerung an einen Dritten oder zurück an den ursprünglichen Verkäufer erfolge. Er zog auch die jüngst angepasste Kommentierung des Senatsmitglieds Grüneberg zu § 357 BGB heran und stellte heraus, dass demnach die Vorleistungspflicht (nur dann) entfalle, wenn der Darlehensgeber den erzielten Veräußerungserlös als Surrogat verlange. Eine Anwendung allein des § 275 BGB als Ausgangsnorm des Leistungsstörungsrechts führe zu einem nicht interessengerechten Ergebnis, zumal § 275 Abs. 4 BGB ausdrücklich auf § 326 BGB verweise, der allerdings mangels Synallagmas nicht zur Anwendung kommen soll.
Der Darlehensnehmer versuchte dem entgegenzusetzen, dass der Darlehensgeber zum einen rechtswidrig die Wirksamkeit des Widerrufs seit mehreren Jahren negiere und dem Darlehensnehmer somit keine andere Wahl lasse, als das Fahrzeug zu veräußern, und zum anderen mit der Veräußerung einverstanden sei, wie die Freigabe des Sicherungseigentums zeige. Im Übrigen sei auch vor dem europarechtlichen Hintergrund des umfassenden Verbraucherschutzes untragbar, dass dem Verbraucher im Falle eines zufälligen Untergangs der Sache die Rückabwicklung verwehrt sein soll.
Der BGH äußerte sich in der Verhandlung nicht, traf jedoch noch am selben Tag die Entscheidungen, in denen er zwischen den beiden verhandelten Fallgestaltungen differenzierte. Im Fall der freihändigen Veräußerung an einen Dritten verwehrte er dem Verbraucher die begehrte Rückabwicklung. Im Fall der Veräußerung an den ursprünglichen Verkäufer im Rahmen der Rückkaufvereinbarung bejahte er jedoch eine Rückabwicklung. Mit einer Urteilsbegründung ist im Laufe des Monats März zu rechnen. Anlass und ein dogmatisch nachvollziehbarer Anhaltspunkt für die vorgenommene Differenzierung sind nicht recht ersichtlich. Möglicherweise begründet der BGH seine Vorgehensweise damit, dass sich Verkäufer und Darlehensgeber aus Sicht des Verbrauchers als personenidentische Einheit darstellen und, da der Darlehensgeber im Rahmen des Rückabwicklungsschuldverhältnisses ohnehin an die Stelle des Verkäufers tritt, das Fahrzeug durch die Rückgabe an den Verkäufer in den Machtbereich des Darlehensgebers gelangt ist. Überzeugend erschiene dies nicht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die zwischen dem Verkäufer und dem Verbraucher geschlossene Rückkaufvereinbarung auf diese Weise Nachteile für den Darlehensgeber zeitigt.
Michael Dreyer, Frankfurt am Main
Faktisches Durchschlagen der Vorleistungspflicht auf negative Feststellungsanträge?
OLG München, Beschluss vom 18.10.2022 zu Az. 5 U 1036/22
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Mitweilen hat bei Klagen von Darlehensnehmern, welche ihren Kfz-Darlehensvertrag widerrufen haben, die Praxis Einzug gefunden, bei noch nicht vollständig abgelösten Darlehen neben einem Leistungsantrag auf Rückabwicklung auch einen negativen Feststellungsantrag zu stellen. Zwar wird der Leistungsantrag nach weit überwiegender Rechtsprechung jedenfalls aufgrund der den Darlehensnehmer bezüglich der Herausgabe des finanzierten Fahrzeugs treffenden Vorleistungspflicht als unbegründet abgewiesen. Dem negativen Feststellungsantrag wird jedoch bei wirksamem Widerruf in aller Regel stattgegeben, weshalb festgestellt wird, dass der Darlehensgeber keine weiteren Zins- und Tilgungsleistungen mehr verlangen kann. Gleichzeitig führt die Stattgabe dazu, dass den Darlehensgeber eine Kostentragungslast trifft.
Hiergegen stemmt sich das OLG München (Hinweisbeschluss vom 18.10.2022 zu Az. 5 U 1036/22). In seinem Beschluss führt der Senat aus, dass den Darlehensnehmer trotz wirksamen Widerrufs weiterhin die Zahlungspflicht aus dem Darlehensvertrag treffe. Diese umfasse neben der Pflicht zur vollständigen Rückzahlung der Darlehensvaluta, an dessen Stelle im Falle von Kfz-Darlehen die Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs trete, auch die bis zu diesem Zeitpunkt reichende Pflicht zur Entrichtung der vertraglichen Zinsen. Dies folge für die Darlehensvaluta und die vertraglichen Zinsen aus § 357a Abs. 1 bzw. Abs. 3 BGB a.F. (nunmehr in § 357b BGB geregelt). Durch die Anknüpfung an die Herausgabe des Fahrzeugs an den Darlehensgeber lässt das OLG München die einen Darlehensnehmer treffende Vorleistungspflicht faktisch auf den negativen Feststellungsantrag durchschlagen.
Der BGH hat die Annahme der (ursprünglichen) Begründetheit eines negativen Feststellungsantrags durch die Vorinstanz bislang nicht beanstandet (etwa BGH, Urteil vom 25.10.2022 zu Az. XI ZR 44/22). Die übrigen Oberlandesgerichte sehen sich aus diesem Grund derzeit nicht veranlasst, von ihrer bisherigen Rechtsprechung abzuweichen und sich der Rechtsauffassung des OLG München anzuschließen. Es bleibt also, insbesondere aufgrund zwischenzeitlicher Wiederholung der dargestellten Rechtsauffassung durch das OLG München in jedenfalls einem weiteren Verfahren, abzuwarten, wie sich der BGH hierzu positionieren und, ob er eine weitreichende Rechtssprechungsänderung einleiten wird.
Matthias Heisack, Frankfurt am Main
Dieselskandal 2.0 – Ebnet das VG Schleswig einer neuen Klagewelle den Weg?
VG Schleswig, Urteil vom 20.02.2023 zu Az.: 3 A 113/18
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Das VG Schleswig hat einer Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stattgegeben. Nach Auffassung der Kammer, hätte das KBA den Freigabebescheid für die streitgegenständlichen Fahrzeugtypen (VW Golf Plus, 2,0l, EU5, EA189) im Jahr 2016 nicht erteilen dürfen. Mit dem Freigabebescheid bestätigte das KBA, dass nach der Entfernung der sog. Umschaltlogik keine weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen in den Fahrzeugen verbaut waren.
Das VG Schleswig kommt mit Urteil vom 20.02.2023 u.a. zu dem Ergebnis, dass das in den streitgegenständlichen Fahrzeugtypen installierte Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen und der Freigabebescheid aufzuheben sei.
Thermofenster sind in nahezu allen Dieselfahrzeugen installiert und bewirken, dass die Abgasreinigung bei zu niedrigen oder zu hohen Außentemperaturen verringert wird.
Das VG Schleswig nimmt in seiner Entscheidung Bezug auf das Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 08.11.2022 (C-873/19), wonach ein Thermofenster nur dann zulässig sei, wenn die Verringerung der Abgasreinigung erforderlich ist, um „unmittelbare Risiken für den Motor“ zu verhindern. Das KBA und die dem Rechtsstreit beigeladene Volkswagen AG, hätten lediglich auf technische Risiken für Bauteile außerhalb des Motors verwiesen, nicht hingegen auf Risiken für den Motor selbst. Es seien somit nur indirekt Schäden zu befürchten. Das VG Schleswig geht somit von einer restriktiven Auslegung der Rechtfertigung des Thermofensters aus Gründen des Motorschutzes aus.
Ob das VG Schleswig, entsprechend einer sich schnell verbreitenden Auffassung, tatsächlich den „Dieselskandal 2.0“ eingeleitet hat, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass die Bewertung des VG Schleswig nicht pauschal auf sämtliche Dieselfahrzeuge zu übertragen ist. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters ist vielmehr die jeweilige Bauart des Dieselmotors, sowie die konkrete und individuelle Ausgestaltung des Temperaturbereichs des Thermofensters, von wesentlicher Bedeutung.
Im Übrigen begründet die alleinige Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung noch keinen Schadensersatzanspruch. So hat der Bundesgerichtshof insbesondere für einen Anspruch gem. § 826 BGB bereits mehrfach entschieden, dass das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung allein keinen Verstoß gegen die guten Sitten zu begründen vermag. Für die Anspruchsbegründung seien vielmehr weitere, wesentliche Tatbestandsmerkmale erforderlich.
Das Urteil des VG Schleswig ist bis dato nicht rechtskräftig. Dem KBA und der Volkswagen AG steht die Berufung zum Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht oder die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht offen.
Pascal Schäfer, Frankfurt am Main
Grob Fahrlässiges Verhalten des Zahlungsdienstnutzers
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17.10.2022 zu Az.: 3 U 57/21
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Der 3. Senat des OLG Frankfurt hatte zu entscheiden, ob ein grob fahrlässiges Verhalten des Zahlungsdienstnutzers vorliegt, wenn er seine personalisierten Sicherheitsmerkmale sowie sein Authentifizierungsinstrument nicht vor dem Zugriff seines Sohnes schützt.
Soweit ein Zahler gegenüber seinem Zahlungsdienstleister die Erstattung von nicht von ihm autorisierten Überweisungen begehrt, ist seitens der Bank zu prüfen, ob der Zahlungsdienstleister mit seinem Anspruch auf Schadensersatz nach § 675 Abs. 1 BGB aufrechnen kann. Der Aufrechnungsanspruch setzt voraus, dass der Zahler seine gesetzlichen bzw. vertraglichen Pflichten zur Geheimhaltung seiner personalisierten Sicherheitsmerkmale sowie der sicheren Aufbewahrung seines Authentifizierungsinstrumentes grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt und so den Schaden verursacht.
Einen solchen Schadensersatzanspruch der Bank gegenüber dem Zahler hat der Senat bejaht. Im dem zu entscheidenden Fall hatte der Sohn die personalisierten Sicherheitsmerkmale ausgespäht und das Authentifizierungsinstrument (hier die Banking App auf dem Mobiltelefon) für Überweisungen vom Konto des Klägers zu eigenen Zwecken missbraucht. Der Senat schloss sich dem Vortrag der Bank an, wonach jedenfalls aufgrund der bekannten Spielsucht des Sohnes der Kläger sämtliche Vorkehrungen hätte treffen müssen, um einen Zugriff auf seine personalisierten Sicherheitsmerkmale sowie sein Authentifizierungsgerät zu verhindern. Insbesondere hätte der Kläger weder im Beisein seines Sohnes die Online-Banking App nutzen, noch seinem Sohn sein Mobiltelefon unbeaufsichtigt überlassen dürfen.
Festzuhalten ist, auch gegenüber Angehörigen des eigenen Haushaltes ist die Geheimhaltung personalisierter Sicherheitsmerkmale sowie die sichere Aufbewahrung des Authentifizierungsinstruments geboten. Dies kann im Einzelfall bedeuten, dass selbst die Nutzung der Online-Banking App im Bei-sein eines Familienangehörigen sowie Überlassung des Mobiltelefons, sofern es als Authentifizierungsinstrument dient, bereits eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Zahlers darstellen kann.
Bettina Zerelles, Frankfurt am Main