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Newsletter Bank- und Prozessrecht Q4/2022

29.03.2023 | Bank- und Prozessrecht

Fehlendes Feststellungsinteresse bei dem Widerruf von Allgemein-Verbraucherkreditverträgen
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 13.05.2022 zu Az.: 17 U 82/21
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Der 17. Senat des OLG Frankfurt a.M. hatte erneut einen Fall des Widerrufs eines Allgemein-Verbraucherkredits zu entscheiden. Streitgegenständlich war ein Allgemein-Verbraucherkreditvertrag aus Oktober 2017. Der Widerruf wurde im Februar 2020 erklärt. Es lag kein mit einem Pkw-Kaufvertrag verbundener Vertrag vor. Die Kläger hatten die Raten auch nach Widerruf weitergezahlt. Die Kläger wollten nunmehr mit der Klage festgestellt wissen, dass die Bank aufgrund des Widerrufs keine Ansprüche mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung habe. In den Vertragsbedingungen war allerdings geregelt, dass die Kläger den Kredit jederzeit vorfälligkeitsentschädigungsfrei zurückzahlen können.
Der 17. Senat hat nun entschieden, dass den Klägern bei einer derartigen Konstellation das gem. § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse fehle. Ob ein Feststellungsinteresses vorliege, sei auch stets daran zu prüfen, ob die Kläger aus einem Erfolg der Feststellungsklage für sich günstige Rechtsfolgen ableiten könnten. Die Gerichte hätten nicht die Funktion, reine Rechtsgutachten zu erstellen. Im Falle des Obsiegens müssten die Kläger das Darlehen aber ohnehin gem. § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB zurückzahlen. Einen rechtlichen Vorteil hätten die Kläger somit nicht, zumal der Rückzahlungsanspruch sofort fällig wäre, während im Fall des Unterliegens das Darlehen sogar ratierlich zurückzahlbar sei. Der Zinsanspruch der Bank folge entweder aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB oder eben aus § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB. Da das Darlehen laut den Vertragsbedingungen jederzeit vorfälligkeitsentschädigungsfrei zurückführbar sei, sei auch in der sofortigen Rückzahlungsmöglichkeit kein Vorteil der Kläger zu erkennen. Der geltend gemachte Anspruch stehe damit sowohl dem Bestande als auch der Höhe nach außer Streit, nur über die Rechtsgrundlagen werde gestritten. Ein allgemeines Klärungsinteresse reiche aber für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht auch (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2010 zu Az.: VIII ZR 351/08).
Die Erhebung einer negativen Feststellungsklage schien lange Zeit und insbesondere nach dem BGH-Urteil vom 16.05.2017 zu Az.: XI ZR 586/15 der „Königsweg“ der Antragsstellung in Widerrufsfällen gewesen zu sein. Die Entscheidung des 17. Senats, der der 3. Senat des OLG Frankfurt a.M. im Übrigen folgt (vgl. Beschluss vom 31.08.2022 zu Az.: 3 U 188/22), zeigt nun aber auf, dass gerade die Rechtsfolgen aufgrund eines erklärten Widerrufs bei der Antragsstellung Berücksichtigung finden müssen und nicht blindlings der einfachste Weg über die negative Feststellungsklage gewählt werden kann. Es scheint als würde den Darlehensnehmern durch die Formulierung des negativen Feststellungsantrags suggeriert, sie müssten das Darlehen nicht zurückzahlen. Nicht anders lässt sich die immer noch andauernde Klagewelle bei Widerrufen von Allgemein-Verbraucherkreditverträgen erklären.

Larissa Normann, Frankfurt am Main

 

Immobiliarkreditverträge – EuGH entscheidet zur Vorfälligkeitsentschädigung
LG Ravensburg, Beschluss vom 08.08.2022 zu Az.: 2 O 316/21 (EuGH Az.: C-536/22)
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Am 9. September 2021 hat der EuGH zu Allgemein-Verbraucherkreditverträgen u.a. entschieden, dass „im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise anzugeben“ sei. Das Urteil stützt sich auf die Richtlinie 2008/48/EG, die für Immobiliarkreditverträge keine Anwendung findet.
Nunmehr sind auch letztere wieder in das Visier des unermüdlichen Richters Göller geraten: am 08.08.2022 setzte das LG Ravensburg ein Verfahren aus und legte dem EuGH einige Fragen zur Auslegung der „angemessenen und objektiven Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten“ vor, so der Wortlaut des Art. 25 Abs. 3 der Richtlinie 2014/17/EU (Wohnimmobilienkreditrichtlinie). Zunächst zweifelt das vorlegende Gericht an der Zulässigkeit der Berücksichtigung von entgangenem Gewinn bei der Berechnung, insbesondere in Form von zukünftigen Zinsen. Im Fall der Berücksichtigungsfähigkeit von entgangenem Gewinn möchte das Landgericht wissen, ob der konkreten Art der Wiederanlage des vorzeitig zurückgezahlten Betrages Bedeutung zukommt oder die Berechnung der Entschädigung anhand fiktiver Werte mit der Richtlinie vereinbar ist. Zuletzt soll der EuGH darüber entscheiden, ob Art. 25 der Richtlinie auch auf die Berechnung der Entschädigung im Falle der vorzeitigen Kündigung nach § 490 Abs. 2 BGB Anwendung findet.
Der BGH billigt bekanntlich bei Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach § 502 BGB u.a. die weit verbreitetet Aktiv-Passiv-Methode, bei der sich der finanzielle Nachteil des Darlehensgebers als Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei vereinbarungsgemäßer Durchführung des Vertrages tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite, die sich ergeben würde, wenn der Kreditgeber die vorzeitig zurückgezahlten Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln mit kongruenter Laufzeit anlegt, berechnet. Der Differenzbetrag ist um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu vermindern und auf den Zeitpunkt der Leistung der Vorfälligkeitsentschädigung abzuzinsen. Die Wiederanlage in sicheren Kapitalmarkttiteln muss dabei nicht tatsächlich erfolgen, die Rechenwerte können der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank entnommen werden. Die vorgenannten Vorgaben gelten auch für die Ausübung des Kündigungsrechts nach § 490 Abs. 2 BGB.
Die Entscheidung des EuGH könnte auch in diesem Fall erhebliche Auswirkungen nicht nur für die Bankenseite haben: zunächst entfällt der Anspruch der Banken auf Vorfälligkeitsentschädigung u.a. bei unzutreffender Berechnung derselben. Dies wie auch eine zukünftige Nichtberücksichtigung des entgangenen Gewinns, würde im Ergebnis aber sicher auch zu einer Neubewertung der Risikovorsorge der Banken führen, die wiederum eine Verteuerung von Darlehen oder gar weitere Zurückhaltung bei der Vergabe bewirken könnte.
Insoweit ist – nach der bereits verpflichtenden „leicht nachvollziehbaren Berechnungsmethode“ bei Allgemeinverbraucherverträgen – erneut die praktische Unmöglichkeit der Angabe der konkreten Wiederanlageart fast noch das geringste Übel.

Dr. Ilka Heigl, Frankfurt am Main

 

Die Spitze widersprüchlichen Verhaltens nach Darlehenswiderruf?
LG Düsseldorf, Urteil vom 19.10.2022 zu Az. 13 O 70/22
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In seinem Urteil vom 19.10.2022 hat das LG Düsseldorf in dem Verhalten des Klägers, der trotz der Antwort der Bank auf seinen Widerruf, zur Rückabwicklung bereit zu sein und das Fahrzeug nach Terminabsprache unter den angegebenen Kontaktdaten entgegenzunehmen, das Fahrzeug weiter genutzt, lediglich ein wörtliches Angebot auf Herausgabe wiederholt und schließlich Klage auf Rückabwicklung erhoben hat, einen unauflösbaren Widerspruch erkannt, der das Rückabwicklungsbegehren rechtsmissbräuchlich erscheinen lasse. Damit könne dahinstehen, ob der Widerruf wirksam war. Auch sei die Bank nicht zur ausdrücklichen Anerkennung der Wirksamkeit des Widerrufs verpflichtet.
Das LG Düsseldorf bereichert in dem o.g. Urteil die Diskussion um eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Rückabwicklungsschuldverhältnis durch einen Verbraucher nach Widerruf seiner auf den Abschluss eines Darlehensvertrags zur Finanzierung eines Fahrzeugerwerbs gerichteten Willenserklärung um die Komponente des „mangelnden korrespondierenden Verhaltens“ und bezieht sich dabei auf die Kommentierung und althergebrachte Rechtsprechung im Bereich des Bereicherungsrechts, wonach derjenige, der das ihm ohne Rechtsgrund Geleistete behalten möchte, seine Gegenleistung nicht unter Berufung auf die Nichtigkeit des zugrundeliegenden Geschäfts zurückverlangen könne (BGH, Urteil vom 20.01.1954 zu Az. II ZR 1/53; RG, Urteil vom 30.06.1939 – GSZ 4/38).
Die jüngste Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 09.09.2021 zu Az. C-33/20 u.a.) stehe dem nicht entgegen, weil der EuGH sich mit der Fragestellung widersprüchlichen Verhaltens des Verbrauchers nach der Erklärung des Widerrufs ersichtlich nicht befasst habe.
Der Rückgriff auf Wertungen aus dem Bereicherungsrecht stellt einen schönen Ansatz dar, zumal sich die Rückabwicklung eines Darlehensverhältnisses nach Ansicht des BGH teilweise – hinsichtlich der nach der Erklärung des Widerrufs noch erbrachten Zahlungen – unmittelbar nach Bereicherungsrecht richtet (vgl. BGH, Urteil vom 25.01.2022 zu Az. XI ZR 559/20).
Das LG Düsseldorf führt in seinem o.g. Urteil allerdings auch aus, dass „ganz offensichtlich bereits im Ansatz keinerlei vernünftiger Anlass“ zur Klageerhebung bestanden habe, was – so auch unsere Argumentation – die Frage aufwirft, ob der Klage nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis und damit bereits die Zulässigkeit abzusprechen gewesen wäre.

Michael Dreyer, Frankfurt am Main

 

Widerruf von Kfz-Finanzierungen: Das treuwidrige Nachtatverhalten
OLG Koblenz, Urteil vom 09.09.2022 zu Az.: 8 U 1124/19
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Der 8. Senat des OLG Koblenz hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der klagende Darlehensnehmer nach Erklärung des Widerrufs das Darlehen vollständig ablöste. Daraufhin verzichtete die beklagte Bank auf ihr Sicherungseigentum an dem finanzierten Fahrzeug und übertrug das Eigentum auf den Kläger, indem sie die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) an den Kläger übersandte.
In seiner Entscheidung hat sich das Gericht sehr ausführlich mit dem Vorlagebeschluss des BGH vom 31.01.2022 zu Az. XI ZR 113/21 u.a. und der Entscheidung des EuGH 09.09.2021 zu Az. C-33/20 u.a. auseinandergesetzt. Der Senat teilt dabei die differenzierenden Erwägungen des BGH im Vorlagenbeschluss vom 31.01.2022 zum Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs, welche insbesondere nicht im Widerspruch zur Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021 stünden.
Der EuGH habe mit seiner Entscheidung vom 09.09.2021 lediglich festgestellt, dass der Einwand der Verwirkung oder des Rechtsmissbrauchs im Rahmen der Erteilung der Pflichtangaben, d.h. bei Abschluss des Vertrages, unzulässig sei. In den vom BGH vorgelegten Fällen gehe es jedoch stets um ein konkretes Nachtatverhalten des Darlehensnehmers, das in keinem inneren Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemäßen Erteilung von Pflichtangaben bei Vertragsschluss stehe. Deshalb könne nach Auffassung des 8. Senats auch unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 09.09.2021 die Berufung auf einen an sich zulässigen Widerruf in Widerspruch zu § 242 BGB stehen, wenn im Einzelfall und ausnahmsweise ein besonders gewichtiger objektiver und subjektiver Missbrauch auf Seiten des Darlehensnehmers während oder nach Ende des Darlehensvertrages vorliege.
Dieses treuwidrige Nachtatverhalten sah das OLG in dem von ihm zu entscheidenden Verfahren als erfüllt an, weil der Kläger sich in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch begeben habe. Einerseits habe der Kläger das Darlehen trotz des erklärten Widerrufs vollständig zurückgezahlt und sich dann auf den Standpunkt gestellt, dass die Beklagte zur Freigabe des Sicherungseigentums und Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil Il nach Erfüllung verpflichtet sei. Anderseits verlange der Kläger jedoch die Rückabwicklung des Darlehensvertrages aufgrund Widerrufs. Im Hinblick auf dieses widersprüchliche Verhalten erachtete der Senat die Berufung des Klägers auf den Widerruf nach § 242 BGB als treuwidrig.

Ebru Keskin, Frankfurt am Main

 

Konsequenzen der Veräußerung des finanzierten Kfz nach Widerruf des Darlehensvertrags
OLG Braunschweig, Beschluss vom 24.06.2022 zu Az. 4 U 36/21
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Schließt ein Verbraucher mit einem Kreditinstitut einen Darlehensvertrag zur Finanzierung eines Kfz-Kaufs ab, hat er im Falle eines wirksamen Widerrufs grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung seiner geleisteten Zins- und Tilgungsraten sowie einer geleisteten Anzahlung. Er hat aber seinerseits das Fahrzeug herauszugeben, wobei er nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 25.01.2022 zu Az. XI ZR 559/29) vorleistungspflichtig ist. Dem Kreditinstitut steht insoweit ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB zu, bis es das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat.
Bisweilen kommt es vor, dass Verbraucher nach Erklärung des Widerrufs das finanzierte Fahrzeug an einen Dritten veräußern und gegenüber dem Kreditinstitut einwenden, die Herausgabe des Fahrzeugs wäre aufgrund der Weiterveräußerung unmöglich. Die finanzierende Bank könne daher von ihrem Leistungsverweigerungsrecht keinen Gebrauch mehr machen.
Mit Beschluss von 24.06.2022 zu Az. 4 U 36/21 stellte der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig nun klar, dass sich ein Kreditinstitut auch im Falle der Veräußerung des Fahrzeugs durch den Verbraucher auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen kann. Die bloße Weiterveräußerung des Fahrzeugs führe nicht ohne Weiteres dazu, dass die auf § 355 Abs. 3 BGB beruhende Rückgabepflicht des Verbrauchers wegen Unmöglichkeit erlösche. Vielmehr müsse der Verbraucher darlegen und ggf. beweisen, dass die Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs für ihn oder für jedermann unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB sei. Soweit sich der Verbraucher auf subjektive Unmöglichkeit beruft, müsse er grundsätzlich dazu Stellung nehmen, ob und ggf. mit welchem Aufwand das Leistungshindernis zu beheben sei. Sofern es sich um eine Leistung handelt, die der Verbraucher bei Mitwirkung eines Dritten erbringen könnte, müsse er hierzu darlegen und ggf. beweisen, dass der Dritte im Falle des § 275 Abs. 1 BGB die erforderliche Mitwirkung verweigert bzw. im Falle des § 275 Abs. 2 BGB von grob unverhältnismäßigen Forderungen in der Weise abhängig macht, dass er zur Mitwirkung nur unter Bedingungen bereit ist, die den Verbraucher zu Verweigerung der Leistung nach § 275 Abs. 2 BGB berechtigten.
Zu alldem hatte der klagende Verbraucher nichts vorgetragen, sodass das von der beklagten Bank geltend gemachte Leistungsverweigerungsrecht Bestand hatte.
Das Oberlandesgericht Braunschweig arbeitet in dem Beschluss sauber die Voraussetzungen der Unmöglichkeit nach § 275 BGB heraus und zeigt insoweit die hohen Anforderungen an die Darlegungslast des Verbrauchers auf. Die Entscheidung ist insofern begrüßenswert, da hierdurch verdeutlicht wird, dass der pauschale Vortrag, das Fahrzeug sei an einen Dritten weiterveräußert worden, den Verbraucher nicht von seiner Vorleistungspflicht bei der Rückabwicklung eines mit einem Kfz-Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrags befreit.

Clemens Stark, Frankfurt am Main

 

Negatives Feststellungsinteresse auch bei abgelösten Darlehen – ein OLG auf Abwegen?
Saarländisches OLG, Urteil vom 04.08.2022 zu Az. 4 U 106/21
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Beim Widerruf noch laufender Kfz-Darlehensverträge begehren die Kläger oftmals die Feststellung, ab der Widerrufserklärung nicht mehr zur Erbringung von Zins- und Tilgungsleistungen verpflichtet zu sein. Doch wie verhält es sich mit dem vom Gesetzgeber in § 256 Abs. 1 ZPO zwingend geforderten Feststellungsinteresse, wenn nach vollständiger Rückzahlung gar kein Anspruch des Darlehensgebers mehr auf Zins- und Tilgungsleistungen gegeben ist?
Diese Frage beantwortet das Saarländische Oberlandesgericht in einem Fall in welchem das Darlehen im Zeitpunkt der Widerrufserklärung zwar noch lief, im Laufe des Verfahrens allerdings abgelöst wurde, dahingehend, dass gleichwohl im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung ein Feststellungsinteresse des Darlehensnehmers bestehe. Vorab: Um das Feststellungsinteresse zu begründen, bedarf es einer gegenwärtigen Gefahr für das Recht oder die Rechtsposition des Klägers und das erstrebte Feststellungsurteil muss geeignet sein, diese Gefahr zu beseitigen.
Die (vermeintlich fehlende) Gegenwärtigkeit versucht der Senat zu konstruieren, indem er die nach der Erklärung des Widerrufs und unter Vorbehalt der Rückforderung geleisteten Zahlungen derart bewertet, dass sie zu keinem Zeitpunkt eine die Streitpunkte erledigende Erfüllung haben eintreten lassen. Ob einer Leistung unter Vorbehalt Erfüllungswirkung zukomme, sei eben durch Auslegung zu ermitteln. Hintergrund dieser Konstruktion sei das hohe Verbraucherschutzniveau der Verbraucherkreditrichtlinie. Grundsätzlich gelte zwar der Vorrang der Leistungsklage. Es sei für den Darlehensnehmer jedoch schlichtweg unzumutbar, wenn er aufgrund der ihn treffenden Vorleistungspflicht, erst die Fälligkeit des Zahlungsanspruchs herbeiführen müsse, um den Eintritt der Rechtsfolgen seines Widerrufs gerichtlich feststellen lassen zu können. Hierbei müsse der Darlehensnehmer auf ungesicherter rechtlicher Grundlage und bei Fortbestehen des Streits über die Wirksamkeit des Widerrufs zunächst das Fahrzeug an den Darlehensgeber herausgeben. Das hätte zur Folge, dass sich der Darlehensnehmer aufgrund des weiterhin anhängigen Rechtsstreits möglicherweise ein Ersatzfahrzeug beschaffen müsse oder sogar vollends ohne Fortbewegungsmittel dastehe.
Die Entscheidung steht konträr zur zuvor einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung, welche einen negativen Feststellungsantrag bei abgelösten Darlehen mangels Feststellungsinteresses als unzulässig bewertet und entsprechende Klagen der Darlehensnehmer abgewiesen hat. Exemplarisch herausgegriffen und kurz dargestellt, sei die Entscheidung des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 24. Mai 2022 (Az. 6 U 176/21). Bereits mit Leitsatz stellt der Senat heraus, dass ein Darlehensnehmer der nach Widerruf die Umwandlung des Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis und seine etwaigen Ansprüche aus diesem geltend macht, vorrangig die Leistungsklage bemühen muss. Eine Feststellung des Nichtbestehens vertraglicher Erfüllungsansprüche scheidet, so das Oberlandesgericht Stuttgart in seinen Entscheidungsgründen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH zu Az. XI ZR 225/17 vom 19. Februar 2019, mangels Feststellungsinteresses aus, sobald der Darlehensgeber sich keiner solcher Ansprüche berühmt. Dabei reiche es nach Zahlung der Schlussrate durch den Darlehensnehmer aus, wenn der Darlehensgeber solche nicht mehr behaupte.
Die Rechtsprechung des Saarländischen Oberlandesgericht ist unter Berücksichtigung der anderslautenden obergerichtlichen Entscheidungen, wie auch nach der oben dargestellten Gesetzessystematik abzulehnen. Eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht nach Ablöse eines Darlehens bereits nicht, kann aber jedenfalls durch ein Feststellungsurteil nicht beseitigt werden. Auch die Folgenbetrachtung, welche das Saarländische Oberlandesgericht anstellt, überzeugt nicht, sondern missachtet die durch den Gesetzgeber explizit vorgesehene Rechtsfolge des Widerrufs in Gänze.
Nichts desto trotz bleibt, insbesondere vor der Zulassung der Revision durch das Saarländische Oberlandesgericht, eine Positionierung des Bundesgerichtshofs zu der aufgeworfenen Rechtsfrage abzuwarten. Ein Verhandlungstermin – bei dem von Göhmann betreuten Verfahren – wurde noch nicht anberaumt.

Andre Berger und Matthias Heisack, Frankfurt am Main

 

Die neue EU-Sammelklage – „New Deal for Consumer“
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Das Bundesministerium der Justiz hat am 22. September 2022 den lang erwarteten Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Europäischen Verbandsklagerichtlinie (2020/1828) intern zur Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung vorgelegt.
Der Gesetzesentwurf sieht im Wesentlichen ein neues sog. Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) vor, womit die Vorgaben der Richtlinie umgesetzt werden sollen. Besonders im Fokus steht hierbei die Einführung einer Sammelklage auf Leistung. Sofern es bislang qualifizierten Verbraucherverbänden nur möglich war im Wege der Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) die Feststellung von Ansprüchen und Rechtsverhältnissen zu beantragen und die Verbraucher im Anschluss individuell auf Leistung klagen mussten, sieht die neue Sammelklage die unmittelbare Geltendmachung von Leistungsansprüchen (bspw.: Schadensersatz- oder Nachlieferungsansprüchen) vor.
Die Klageberechtigung richtet sich nach den Voraussetzungen, die bereits für die Musterfeststellungsklage gelten. Der Kreis der klageberechtigten Verbände wird allerdings im Vergleich zur Musterfeststellungsklage auf qualifizierte Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten erweitert, sofern diese die jeweiligen Voraussetzungen des Mitgliedstaates erfüllen und im neuen europäischen Verzeichnis eingetragen sind. Auch das Zusammenwirken mehrerer Verbände unterschiedlicher Mitgliedsstaaten als Streitgenossen ist möglich.
Die klageberechtigten Verbände sind angehalten im Zeitpunkt der Klageerhebung glaubhaft zu machen, dass die Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern von der Klage betroffen sind, wobei die Ansprüche „gleichartig“ sein müssen. Letzteres ist der Fall, wenn sie vom Gericht „schablonenartig“ geprüft werden können, ohne dass auf den Einzelfall eingegangen werden muss. Der Referentenentwurf nennt als Beispiel Zinszahlungsansprüche aus Sparverträgen oder auch Fluggastentschädigungen.
Der neuen Sammelklage können sich Verbraucher und nunmehr auch kleine Unternehmen (weniger als 50 Beschäftigte und ein maximaler Jahresumsatz von 10 Millionen Euro) bis spätestens einen Tag vor der mündlichen Verhandlung über das Verbandsklageregister anschließen. Eine anwaltliche Vertretung ist nicht erforderlich. Die kostenlose Anmeldung kann bspw. per E-Mail gegenüber dem Bundesamt für Justiz erfolgen. Es ist vorgesehen, dass sich die Verbraucher aktiv der Sammelklage anschließen müssen (sog. Opt-In). Für die beklagten Unternehmen ermöglicht diese frühe Opt-In Lösung bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Gesamtrisiko der Sammelklage abschätzen zu können. Der Individualklageweg bleibt alternativ weiterhin erhalten, sofern nicht ein klageabweisendes Sammelklageurteil ergangen ist.
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Sammelklage an demjenigen Oberlandesgericht zu erheben ist, in dessen Gerichtsbezirk sich der Sitz des beklagten Unternehmens befindet. Für den Ablauf des Gerichtsverfahrens sind mehrere Phasen vorgesehen:

  • Das zuständige Oberlandesgericht hat zunächst mittels Abhilfegrundurteils zu entscheiden, ob die Ansprüche dem Grunde nach bestehen. Sollte dies der Fall sein, hat das Gericht festzulegen, welche Nachweise die Betroffenen für ihre Ansprüche vorlegen müssen.
  • Nach Erlass des Abhilfegrundurteils soll den Parteien die Möglichkeit eingeräumt werden eine gütliche Einigung zur Umsetzung des Urteils zu finden. Ein möglicher Vergleich bedarf der Genehmigung des Gerichts.
  • Sollte eine Einigung nicht erzielt werden können, erlässt das Oberlandesgericht ein Abhilfeendurteil. Hierdurch kann das beklagte Unternehmen zur Zahlung eines „kollektiven Gesamtbetrages“, der gem. § 287 ZPO geschätzt werden kann, in einen „Umsetzungsfonds“ verurteilt werden.
  • Im Rahmen des Umsetzungsverfahrens hat ein gerichtlich bestellter Sachwalter dann die Anspruchsberechtigung der Verbraucher nach Maßgabe des Abhilfegrundurteils zu prüfen und das Geld zu verteilen. Der ausgeurteilte Betrag kann auf Antrag des klagenden Verbandes nachträglich erhöht werden, sollte er nicht ausreichen. Umgekehrt werden überschüssige Beträge nach Abschluss des Umsetzungsverfahrens zurückgezahlt.

Die Verbandsklagen-Richtlinie muss bis zum 25. Dezember 2022 in deutsches Recht umgesetzt und das neue Recht spätestens ab dem 25. Juni 2023 anwendbar sein. Es bleibt abzuwarten, wie die Umsetzung final erfolgt.

Pascal Schäfer, Frankfurt am Main

 

Mit der Verstaatlichung kommt das Vergaberecht: Ausschreibungspflichten für Uniper & Co.
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Die Verstaatlichung von Uniper
Am 08.07.2022 beantragte das Energieunternehmen Uniper SE (Uniper) als eines der größten europäischen Gasunternehmen und als größter deutscher Importeuer von russischem Gas erstmals Staatshilfen beim Bund. Am 22.07.2022 verständigte sich die Bundesregierung mit Uniper auf eine finanzielle Unterstützung. Dabei sah das erste Stabilisierungspaket bereits einen Umfang von bis zu 15 Milliarden Euro vor, welches am 21. September 2022 noch einmal deutlich angepasst wurde. Im Ergebnis soll die Beteiligung des Bundes an Uniper nach der Kapitalerhöhung sowie der Übernahme des Aktienpakets des Mehrheitsaktionärs Fortum Oyi nun rund 99 % betragen. Das Paket bedarf derzeit noch der beihilferechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommission. Ähnliche Übernahmen plant der Bund derzeit für andere „systemrelevante“ Gasversorger (z.B. Sefe).
Die Anknüpfung an das Vergaberecht
Die öffentliche Hand muss den Einkauf von Waren und Dienstleistungen – dazu gehören auch bestimmte Finanzdienstleistungen – prinzipiell ausschreiben. Anders als rein private Wirtschaftsunternehmen darf sie nicht nur auf vertraute und bewährte Lieferanten bzw. Dienstleister zurückgreifen. Sie muss jeden interessierten Anbieter gleichbehandeln und ihm eine Chance zum Auftrag eröffnen. Die Folge sind mitunter sehr aufwändige und bürokratische Auftragsvergaben.
Für die öffentliche Hand ist die Ausschreibungspflicht allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass das Vergaberecht in § 99 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) den Begriff des – ausschreibungspflichtigen – öffentlichen Auftraggebers deutlich weiter fasst. Darunter fallen nach § 99 Nr. 2 GWB auch private Gesellschaften (z.B. SE, AG, GmbH), die „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art“ erfüllen und eine besondere Staatsnähe aufweisen. Bei den sog. Sektorentätigkeiten nach § 102 GWB, z.B. im Energiesektor, reicht sogar ein beherrschender Einfluss der „klassischen“ öffentlichen Hand auf solche Gesellschaften aus, um die Auftraggebereigenschaft zu begründen (sog. Sektorenauftraggeber).
Uniper als öffentlicher Auftraggeber?
Öffentliche Auftraggeber wie Bund, Bundesländer und Gemeinden unterliegen besonders strikten Vergabepflichten. Diesem Vergaberegime könnte künftig auch Uniper unterfallen, wenn die angekündigte Verstaatlichung dazu führt, dass Uniper als öffentlicher Auftraggeber anzusehen ist.
Die vom Bund beabsichtigte Übernahme führt eindeutig zur angesprochenen Staatsnähe. Dafür lässt § 99 Nr. 2 lit. a) GWB die überwiegende staatliche Finanzierung des Unternehmens ausreichen. Der EuGH hat klargestellt, dass eine solche Finanzierung vorliegt, wenn der staatliche Finanzierungsanteil im Vergleich von Eigen- und Fremdkapital in einem Geschäftsjahr ein Volumen von 50 % übersteigt. Alternativ wird das Finanzierungsmerkmal durch eine überwiegende Beteiligung an der Gesellschaft erfüllt. Die beabsichtigte Verstaatlichung dürfte beide Alternativen umsetzen.
Offen erscheint dagegen, ob die Verstaatlichung dazu führt, dass Uniper künftig „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art“ wahrnimmt. Beim Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“ kommt es darauf an, ob das Unternehmen eher unter Marktbedingungen, d.h. wettbewerbsgesteuert, handelt – und daher einer Bindung an das Vergaberecht nicht bedarf – oder eher wie ein staatlicher Akteur, der marktunabhängigen Zielen und Zwecken verbunden ist.
Die Problematik wurde bereits anlässlich der Kreditkrise 2008 erörtert, als sich der Bund im Zuge der Finanzmarktstabilisierung wachsenden Einfluss auf Unternehmen des Finanzsektors verschaffte. Für eine Abnabelung solcher Unternehmen vom Markt sprach die mit den Rettungsmaßnahmen des Bundes einhergehende Verringerung des Insolvenzrisikos. Gegen eine „Nichtgewerblichkeit“ wurde argumentiert, die Unternehmen blieben unverändert dem Wettbewerb ausgesetzt und arbeiteten gewinnorientiert.
Im Fall von Uniper sieht das Stabilisierungspaket vor, dass der Bund die Finanzierung des Unternehmens bis zur Umsetzung der Kapitalerhöhung sichert. Eine Übernahme der Gewährträgerhaftung ist nicht bekannt. Bleibt es dabei, würde dies gegen eine „Nichtgewerblichkeit“ sprechen. Andererseits erscheint es sehr unsicher, ob Uniper nach der Verstaatlichung noch ausschließlich marktorientiert agiert oder ob der Bund nicht vielmehr seinen Einfluss geltend macht, um eine stabile Gasversorgung unabhängig von den derzeit äußerst volatilen Gasmärkten sicherzustellen.