Newsletter Bau- und Vergaberecht 30/2022
05.09.2022 | Bau- und Vergaberecht
29.08.2022 30/2022
Anscheinsvollmacht eines Bauleiters
Der Architekt hat als Bauleiter keine originäre Vertretungsmacht. Er ist nicht berechtigt, den Bauherrn zu verpflichten und beispielsweise Verträge abzuschließen oder Nachträge zu beauftragen. Allerdings kann sich eine solche Vollmacht aus den Grundsätzen des Anscheins – und/oder Duldungsvollmacht – ergeben. Der Bauherr kann den Rechtsschein einer Vollmacht so erzeugen, dass die Auftragnehmer von einer Bevollmächtigung ausgehen. Dieses ist der Fall, wenn der Bauherr von derartigen Vorgängen Kenntnis hat und nicht dagegen einschreitet (OLG Frankfurt, Urteil vom 18.03.2020 – 29 U 09/17 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen BGH, Beschluss vom 04.08.2021 – VII ZR 158/20).
Prüfung von Mängeln ist kein Anerkenntnis
Wenn ein Unternehmer die Mängel anerkennt, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen. Wenn der Unternehmer den angezeigten Mangel lediglich prüft, wird eine Einstandspflicht nicht anerkannt. Dies gilt auch dann, wenn der Auftragnehmer mitteilt, er habe den Sachverhalt seiner Haftpflichtversicherung gemeldet (OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.12.2021 – 13 U 357/20 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen BGH, Beschluss vom 01.06.2022 – VII ZR 9/22).
Verbindliche Mindestsätze bei Geltung der HOAI 2009
Wenn ein Architektenvertrag vor dem 28.12.2009 und damit vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der EU–Dienstleistungsrichtlinie geschlossen wurde, findet die Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 keine Anwendung und die Mindestsätze können geltend gemacht werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 23.11.2019 – 15 U 73/19 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen BGH, Beschluss vom 29.06.2022 – VII ZR 286/19).
Abweichung von Vergabeunterlagen bei indikativen Angeboten
Wenn die Vergabestelle zwingende Anforderungen an die indikativen Angebote aufgestellt hat, die als Mindestanforderungen zu beachten sind, dürfen solche Angebote nicht von den Vergabeunterlagen abweichen, ansonsten sind sie auszuschließen. Gibt es solche Mindestanforderungen nicht, dürfen indikative Angebote nicht ausgeschlossen werden (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.05. 2021 – 15 Verg 4/21).
Keine sozialen Aspekte bei der Vergabe im Oberschwellenbereich
Die Vergabestelle kann auch neben dem Preis soziale Aspekte als Zuschlagskriterien aufstellen. So werden Angebote von sozialen Werkstätten mit einem Abschlag von 15 % bei der Zuschlagserteilung im Rahmen eines Vergabeverfahrens berücksichtigt. Dies ist unzulässig, da eine Ungleichbehandlung bei der Preiswertung vorliegt, für die es über den EU–Schwellenwerten keine Rechtsgrundlage gibt (VK Westfalen, Beschluss vom 19.08.2022 – VK 2 – 29/22).