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Newsletter Gesellschaftsrecht Q3/2024

15.10.2024 | Gesellschaftsrecht

Die Themen:

  • Hannover 96 und Martin Kind: (Keine) Nichtigkeit der satzungswidrigen Abberufung eines Geschäftsführers
  • Beschlussnichtigkeit bei Einberufung durch Unbefugte
  • Unternehmensnachfolge – Keine Verschonung für Hotelerben

 

Hannover 96 und Martin Kind: (Keine) Nichtigkeit der satzungswidrigen Abberufung eines Geschäftsführers

 

Der Fußballverein Hannover 96 und sein ehemaliger Präsident Martin Kinde stehen aufgrund ihrer Auseinandersetzung seit längerem im medialen Fokus. Nun hat der Bundesgerichtshof die Frage beantwortet, ob die bereits am 25.07.2022 beschlossene Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH wirksam ist.

BGH, Urteil vom 16.07.2024 – II ZR 71/23

(OLG Celle, 04.04.2023 – 9 U 102/22)

(LG Hannover, 11.10.2022 – 32 O 11/22)

 

Der Sachverhalt

Der Verein Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V., betreibt, wie die Mehrheit der „Vereine“ der 1. und 2. Fußballbundesliga seine Profi-Abteilung in einer ausgegliederten Gesellschaft. Damit eine Lizenz für die 2. Fußballbundesliga erteilt wird, muss die „50+1-Regel“ des DFL Deutsche Fußball Liga e.V. eingehalten werden, also eine „Mehrheitsbeteiligung“ bestehen (§ 8 Abs. 3 DFL-Satzung). Dafür reicht es aus, wenn in einer GmbH & Co. KGaA, der Mutterverein mindestens Alleingesellschafter der geschäftsführungsbefugten Komplementär-GmbH ist. Auf die nicht geschäftsführungsbefugten Kommanditaktionäre kommt es dann nicht an.

Dem folgt Hannover 96: Es betreibt die Profi-Abteilung in der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, deren einzige Komplementärin die Hannover 96 Management GmbH ist, deren Alleingesellschafter wiederum der Mutterverein ist; Geschäftsführer war Martin Kind.

Die Satzung der Hannover 96 Management GmbH weist die Geschäftsführerbestellung und -abberufung dem Aufsichtsrat zu, bestehend je hälftig aus Vertretern des Muttervereins und der Kapitalgeberseite. Besonderheit ist, dass mit dem „Hannover-Vertrag“ die Kapitalgeberseite berechtigt ist, weiterhin 2 Aufsichtsratsmitglieder zu stellen und ohne sie kein Geschäftsführer bestellt oder abberufen werden darf.

Im Juli 2022 beschloss nun aber die Gesellschafterversammlung der Hannover 96 Management GmbH, entgegen der Zuständigkeit des Aufsichtsrats, die Abberufung von Martin Kind. Die Entscheidung erging allein durch die Vereinsseite. Martin Kind ging hiergegen vor.

 

Entscheidung des Landgerichts Hannover – Sieg für Martin Kind

Das Landgericht Hannover gab Martin Kind Recht. Der Abberufungsbeschluss sei nichtig.

Das Landgericht Hannover berief sich auf die verletzte Zuständigkeit des Aufsichtsrats. Ein Beschluss der Gesellschafter, der die Satzung verletzt, könne wirksam sein, wenn er lediglich punktuell wirkt – hierauf stütze sich die Vereinsseite, die ihren Beschluss selbst als „Satzungsdurchbrechung“ bezeichnete. Laut dem Landgericht Hannover werde aber ein Dauerzustand begründet, da die Pattsituation im zuständigen Aufsichtsrat die Neubestellung eines Geschäftsführers verhindere und somit die Satzung „berührt“ sei. Es würden also dem Aufsichtsrat satzungsgemäße Rechte dauerhaft entzogen.

 

Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle – der zweite Sieg für Martin Kind

Das Oberlandesgericht Celle beließ es bei der Entscheidung des Landgerichts Hannover und gab wiederum Martin Kind Recht.

Das Oberlandesgericht Celle bestätigte die landgerichtliche Begründung, ging aber noch darüber hinaus. Es sah den Abberufungsbeschluss als sittenwidrig an, da er der Umgehung des Hannover-Vertrages diene (vgl. § 241 Nr. 4 AktG analog). Dieser sichere nicht nur abstrakt die Einflussrechte der Kapitalgeberseite durch die Vertretung im Aufsichtsrat ab, sondern solle auch verhindern, dass diese durch Satzungsdurchbrechung umgangen werden. Eine Verletzung des Hannover-Vertrags als „Stimmbindungs-Vertrag“ führe nicht unmittelbar zur Unwirksamkeit der Beschlussfassung, begründe aber eine besondere Treuwidrigkeit. Es sei das bewusste Ziel gewesen sei, sich über die Mitspracherechte der Kapitalgeber im nie befassten Aufsichtsrat, hinwegzusetzen.

Interessant – und gefährlich – war die Argumentation der Vereinsseite, eine „Restzuständigkeit“ der Gesellschafterversammlung müsse bleiben, da man ansonsten gegen die 50+1-Regel verstoße. Hätte das Gericht einen Verstoß nicht als irrelevant offengelassen, sondern in seiner Begründung einen Verstoß bejaht, hätte sich dieses Argument gegen die Lizenz zur Teilnahme an der 2. Fußballbundesliga gewandt.

 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs – Sieg für die Vereinsseite

Vor dem Bundesgerichtshof konnte die Vereinsseite schließlich „das Spiel drehen“: Der Abberufungsbeschluss ist endgültig wirksam.

Der Abberufungsbeschluss könne nur anfechtbar nicht aber nicht sein, da er nicht gegen tragende Strukturprinzipien des GmbH-Rechts verstoße (vgl. § § 241 Nr. 3 AktG analog). Diese ergäben sich nicht aus individuellen Satzungen sondern aus den abstrakten Strukturmerkmalen des GmbH-Rechts. Die Vorgerichte hatten dies abgelehnt, weil bei bloßer Anfechtbarkeit sonst keine Sanktion bestünde, da es in dieser Konstellation keinen Anfechtungsberechtigte Mitgesellschafter gebe.

Auch sei der Abberufungsbeschluss nicht sittenwidrig (§ 241 Nr. 4 AktG analog). Der Kompetenzverstoß an sich könne nicht zur Sittenwidrigkeit führen, da das Gesetz hierfür nur die Anfechtbarkeit vorsehe. Eine Verletzung der Bindung durch den Hannover-Vertrag würde gemäß der gesetzlichen Konzeption schon keine Anfechtbarkeit begründen. Es seien über die Umgehung der Kompetenz hinaus Gründe für eine besondere Verwerflichkeit erforderlich, die hier nicht erkennbar seien.

Die Satzungsdurchbrechung sei auch nur punktuell und nicht zustandsbegründend. Der Bundesgerichtshof stellte allein darauf ab, dass es wie nach außen verlautbart dabei bleibe, dass der Aufsichtsrat zuständig sei und der Rechtszustand aus der Satzung nicht verändert werde. Die faktische Situation müsse außer Betracht bleiben.

 

Unser Kommentar

Der Bundesgerichtshof entscheidet in dogmatischer Hinsicht rechtlich konsequent. Die Entscheidungen der vorherigen Instanzen liefern allerdings interessante Impulse zu einer mehr wirtschaftlichen Betrachtung, mittels derer Vereinbarungen mit Dritten über die Ausübung von Gesellschafterrechten bereits zu einem Angriff auf die Beschlussfassung führen könnten.

Nachdem die vorherigen Instanzen das Verhalten der Vereinsseite als unzulässig, sogar sittenwidrig eingestuft haben, bedeutet die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Gegenzug nicht, dass der Abberufungsbeschluss im Einklang mit Gesetz und Satzung stand. Es gab nur keinen Anfechtungsberechtigten, der diesen angreifen konnte. Anfechtungsberechtigt wären Mitgesellschafter, die Stellung als Gesellschafter war der Kapitalgeberseite allerdings aufgrund der 50+1-Regel verwehrt.

Spannend bleibt, wie die Vereinsseite reagieren wird. Gemäß Handelsregister hat die Hannover 96 Management GmbH derzeit keinen Geschäftsführer. Eine (satzungsgemäße) Bestellung kann nur der Aufsichtsrat vornehmen, in dem eine Patt-Situation herrscht. Die Vereinsseite könnte einen neuen Geschäftsführer nur durch weiteren satzungsdurchbrechenden Beschluss berufen. Auch wenn die DFL die Lizenz in Kenntnis der Konstellation bisher erteilt hat, dürfte die Frage nach der Erfüllung der 50+1-Regel bei Hannover 96 damit wieder verschiedene Antworten zulassen.

 

Jan-Heinrich Ehlers, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Hannover

 

 

Beschlussnichtigkeit bei Einberufung durch Unbefugte

BGH, Urteil vom 16.07.2024 – II ZR 100/23

 

Der Fall

In einer von fünf Rechtsanwälten geführten Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB) sollte ein Gesellschafter mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund ausgeschlossen werden.

Laut Gesellschaftsvertrag der PartG mbB waren Gesellschafterversammlungen durch den sog. „Managing Partner“ einzuberufen. Die einberufene Versammlung beschloss einstimmig den Ausschluss des (ferngebliebenen) Gesellschafters. Dieser klagte dagegen und machte die Nichtigkeit des Beschlusses geltend mit dem Argument, der einberufende Gesellschafter sei nicht „Managing Partner“ gewesen.

Das LG Frankfurt a.M. und das OLG Frankfurt a.M. hielten die Klage für unbegründet. Selbst wenn der einberufende Gesellschafter nicht „Managing Partner“ gewesen sein sollte, so sei nicht ersichtlich, dass andernfalls der Beschluss ein anderer gewesen wäre. Formale Verstöße könnten nur Bedeutung haben, wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie sich auf das Beschlussergebnis auswirken.

 

Die Entscheidung

Der BGH sah dies anders. Er hielt die Frage, ob der einberufende Gesellschafter „Managing Partner“ war, für relevant und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Zwar gelte für Personengesellschaften herkömmlich der Grundsatz, dass Ladungsmängel (Verstöße gegen Form-, Frist- oder inhaltliche Erfordernisse) nur dann zur Beschlussnichtigkeit führen, wenn dadurch die Teilnahme der Gesellschafter oder die Vorbereitung auf die Tagesordnungspunkte vereitelt wird. Dies sei aber auf die Einberufung durch Unbefugte nicht übertragbar. In diesem Fall liege kein bloßer Formmangel vor, sondern eine „Nichtladung“, die von jedem Geladenen unbeachtet bleiben könne. Auf die Art und Größe der Gesellschaft komme es dabei nicht an.

 

Unser Kommentar

Das Recht der Beschlussmängel ist stark ausdifferenziert. Nicht nur ist zwischen verschiedenen Fehlerkategorien (rein formale Fehler vs. inhaltlich rechtswidrige Beschlüsse) zu unterscheiden. Auch kommt es auf die Gesellschaftsform an. Bei Kapitalgesellschaften müssen Gesellschafter Beschlüsse innerhalb bestimmter Frist anfechten, um ihre Rechte zu wahren, während von Beginn an nichtig nur Beschlüsse sind, die an besonders schweren Fehlern leiden. Bei Personengesellschaften führen herkömmlich alle (relevanten) Fehler zur Nichtigkeit, was Gesellschafter auch noch nach längerer Zeit gerichtlich feststellen lassen können. Das zum 01.01.2024 in Kraft getretene MoPeG unterwirft nun auch Personenhandelsgesellschaften (oHG, KG, GmbH & Co. KG) grundsätzlich dem Konzept der Anfechtungsklage, belässt es bei der BGB-Gesellschaft und auch bei der Partnerschaftsgesellschaft dagegen beim bisherigen Zustand.

Bei aller Ausdifferenzierung im Übrigen ist aber speziell die Einberufung durch Unbefugte – gleich um welche Gesellschaft es sich handelt – stets ein absoluter Nichtigkeitsgrund. Für die Aktiengesellschaft folgt dies aus § 241 Nr. 1 AktG, für die GmbH aus dessen analoger Anwendung, und auch für Personengesellschaften wie der Partnerschaftsgesellschaft gilt nichts anderes. Es handelt sich schlicht um ein „Nullum“. Im vorliegenden Sachverhalt mag dies überraschen, denn natürlich wäre der Gesellschafterausschluss auch bei Einberufung durch den zuständigen „Managing Partner“ beschlossen worden. Gleichwohl dient es der Rechtsklarheit, wenn Unbefugte (seien es Gesellschafter, Organe oder ganz Außenstehende), den Prozess „Gesellschafterversammlung“ schon gar nicht in Gang setzen können.

 

Dr. Holger Bergbach, LL.M, Berlin

 

 

Unternehmensnachfolge – Keine Verschonung für Hotelerben

BFH, Beschluss vom 28.02.2024 – II ZB 27/21

 

Eine glückliche Überführung des Unternehmens in die nächste Generation ist vielfach schwierig genug. Als wenig hilfreich erweist sich dabei eine aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, nach der vermietete Grundstücke zum erbschaftsteuerlich nicht begünstigten Verwaltungsvermögen zählen, auch wenn sie nur kurzfristig an Dritte wie z.B. Gäste oder Kunden überlassen werden und/oder wenn die Vermietung durch Zusatzleistungen flankiert wird (BFH, Urteil vom 28.02.2024 – II R 27/21).  Allen Hotelbetrieben und Logistikdienstleistern, bei denen eine Unternehmensnachfolge ansteht, dürfte die Entscheidung schwer im Magen liegen.

 

Hintergrund

Die Vererbung und die schenkweise Übertragung von Gewerbebetrieben werden erbschaftsteuerlich begünstigt, um die Liquidität des Unternehmens zu schonen und Arbeitsplätze zu sichern. Nicht begünstigt ist demgegenüber sogenanntes „Verwaltungsvermögen“. Dazu zählen Wertpapiere, ein Überbestand an Geld und insbesondere vermietete Grundstücke oder Grundstücksteile, mithin also Vermögen, bei dem der Gesetzgeber eine risikolose und Renditemöglichkeit vermutet (§ 13b Abs. 2 ErbStG). Ausnahmen gelten u.a. für überlassene Grundstücke im Rahmen einer Betriebsaufspaltung oder Betriebsverpachtung, bei gewerblichen Wohnungsunternehmen oder bei landwirtschaftlichen Flächen.

Nicht in den Ausnahmekatalog hineingeschafft haben es Grundstücke, die typischerweise nur kurzfristig vermietet werden oder bei denen die Vermietung im Bündel mit weiteren Dienstleistungen erfolgt, namentlich Beherbergungsbetriebe. Ihnen hat der Gesetzgeber zwar attestiert, dass es sich schon nach dem gewerblichen Leistungsbild nicht um Verwaltungsvermögen handeln könne. Er hat diese Erwartungshaltung aber lediglich in der Gesetzesbegründung platziert und nicht im Gesetz selbst (BT-Drucksache 16/11107).

 

Die Entscheidung

Der Bundesfinanzhof sah keine Veranlassung, die in der Gesetzesbegründung formulierte Erwartungshaltung des Gesetzgebers zu erfüllen. In dem ihm zur Entscheidung vorgelegten Fall sollten Geschäftsanteile an einer Kommanditgesellschaft auf den Sohn übertragen werden, deren Gesellschaftszweck maßgeblich im Betrieb eines Parkhauses bestand. Weder die Vorinstanz noch der BFH hatten Zweifel daran, dass das Parkhaus zur Nutzung an Dritte überlassen wird – nämlich an die Nutzer des Parkhauses. Dass diese Nutzung immer nur von kurzer Dauer ist, spiele keine Rolle. Parkhäuser seien im Rückausnahmekatalog des § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 ErbStG nicht genannt.

Der BFH hat sich sodann intensiv mit der Frage beschäftigt, ob der schädliche Vermietungstatbestand im Wege der Auslegung korrigiert („teleologisch reduziert“) werden kann oder ob der Rückausnahmekatalog zu erweitern ist. Er hat dabei explizit auch die Problematik der Beherbergungsbetriebe in den Blick genommen. Im Ergebnis hat der BFH dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung jedoch die allein entscheidende Bedeutung zugemessen. Ausnahmen für Beherbergungsbetriebe seien dort nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber habe den Rückausnahmekatalog enumerativ und abschließend definiert. Eine Einzelfallprüfung der Steuerschädlichkeit habe der Gesetzgeber nicht gewollt. Die Nichtbegünstigung von Hotelgrundstücken sei auch nicht gleichheits- bzw. verfassungswidrig, da der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum besitze.

 

Unsere Einschätzung

Mit seinem Urteil vom 28. Februar 2024 führt der Bundesfinanzhof seine frühere Rechtsprechungslinie fort. Bereits in dem 2023 entschiedenen „Lagerhausfall“ hatte er geurteilt, dass Zusatzdienstleistungen nichts am Vermietungscharakter ändern.

Bemerkenswert ist die geringe Bereitschaft des obersten Finanzgerichts, sich vom Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen zu lösen. Im Kanon der juristischen Methodenlehre bildet der Wortlaut einer Bestimmung zwar stets die Grenze der Auslegung. Eine Auslegung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck einer Norm (hier: Schutz von Produktivvermögen) sowie der Genese einer Norm gehören aber nicht minder zum Instrumentenkoffer der Gerichte.

Eine Auslegung nach Sinn und Zweck hätte hier deshalb nahegelegen, weil der Gesetzgeber sein Verständnis zum (fehlenden) Verwaltungsvermögenscharakter von Beherbergungsbetrieben sogar expressiv verbis in die Gesetzesbegründung hineingeschrieben hat (siehe oben bzw. BT-Drucksache 16/11107). Die nachstehende Aussage des Bundesfinanzhofs aus dem Parkhausfall-Urteil:

„Der sogenannte Wille des Gesetzgebers beziehungsweise der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann hiernach bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text Niederschlag gefunden hat. Die Gesetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen.“

kann nur als befremdliche Brüskierung des Gesetzgebers empfunden werden.

Es mag sein, dass sich der Bundesfinanzhof nicht als Ersatzgesetzgeber betätigen wollte, um ein in vielen Punkten unstimmiges Verschonungskonzept punktuell reparieren zu müssen. So hat eine dem Erbschaftssteuersenat des BFH angehörende Richterin in einer Urteilsanmerkung deutlich auf die Verantwortung des Gesetzgebers hingewiesen, für Klarheit und eine gleichheitsgerechte Besteuerung zu sorgen (Kugelmüller-Pugh, DSTR 2014, 1484, 1489).

Das wird den betroffenen Hotels, Pensionen und Campingplätzen indes einstweilen nicht helfen. Der Gesetzgeber hat bisher trotz vielfältiger Hinweise auf Widersprüchlichkeiten in den Verschonungsregeln keine Bereitschaft erkennen lassen, seine Konzeption zu überdenken. Zwar hat die Finanzverwaltung die einschlägigen Erbschaftsteuerrichtlinien, die für Hotelgrundstücke bislang eine Ausnahme vom Verwaltungsvermögen vorsahen, in Reaktion auf das Urteil noch nicht geändert. Dass es dabei bleibt, ist jedoch nicht sicher und lässt keine Nachfolgeplanung zu. Einen Nichtanwendungserlass hat die Finanzverwaltung bislang ebenfalls nicht veröffentlicht.

Die vom BFH präferierte Wortlautauslegung drängt zu Folgefragen immer dort, wo ganze Leistungsbündel angeboten werden – zivilrechtlich gern als „typengemischte Verträge“ bezeichnet. Wie werden Restaurants behandelt, die gelegentlich Räume für Privatfeiern vermieten? Zählen Kinogrundstücke zum Verwaltungsvermögen, weil sowohl Schließfächer als auch die Kinosessel (Grundstücksteil!) zur Nutzung an Gäste überlassen werden? Nach der vom BFH präferierten Wortlautauslegung wäre auch in Frage zu stellen, ob die Nutzungsüberlassung an Dritte Ausschließlichkeitscharakter haben muss, oder ob eine Mitnutzung genügt. Dann wären auch die Freiflächen in einem Kino infiziert.

Der betroffene Hotelbetreiber wird weiter verständnislos zur Kenntnis nehmen, dass seine Einkünfte aus der Perspektive des Ertragsteuerrechts als gewerbliche Einkünfte und gerade nicht als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gelten, worauf das Erbschaftsteuerrecht aber keine Rücksicht nimmt. Er wird weiter überlegen, seinen Hotelbetrieb kurzzeitig zu schließen und ihn während der Schließzeit im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf den Nachfolger zu übertragen. Man sollte meinen (ohne es zu wissen), dass diese Lösung BFH-konform ist, denn für die Zwecke des § 13b Abs. 4 ErbStG wird grundsätzlich eine Stichtagsbetrachtung angestellt und auch nach dem Wortlaut der Norm kommt es nur auf tatsächlich an Dritte zur Nutzung überlassene Grundstücksteile an.

 

Dr. Stephan Boese, LL.M. oec, Rechtsanwalt und Notar in Braunschweig

 

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